Der Feind des Staates – Die Stadtkirche in Jena

Die Kirche stand nicht nur unter flächendeckender Beobachtung des SED- Regimes, sondern galt als offizieller Feind des Staates.

Das schützende Dach der Kirche

 

Die Stadtkirche Sankt Michael hat ihre Ursprünge im 12. Jahrhundert. Zu Zeiten der Reformation hielt Martin Luther hier Predigten. Und im Herbst 1989 galt sie wie viele andere Kirchen in Ostdeutschland als Ort für bürgerlichen Protest, da sich in den Kirchen oppositionelle Gruppen trafen. Dadurch wurden sie zum Symbol für die friedliche Wiedervereinigung.

Junge Gemeinde

Die Junge Gemeinde war die einzige vom Staat unabhängige Jugendbewegung. Hier konnten auch systemkritische Jugendliche Themen ansprechen, die nicht zum sozialistischen Weltbild und der Ideologie des SED-Regimes gehörten.

Die Anfänge der Montagsgebete gehen auf die frühen 1980er Jahre zurück. Jugendliche schlossen sich der Jungen Gemeinde an, einer Jugendgruppe der protestantischen Kirchengemeinden. Viele junge Männer, die sich nicht für den Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee verpflichten lassen wollten, suchten hier Rat. Denn die eigentlich unmögliche Verweigerung hatte erhebliche Auswirkungen auf den weiteren Lebensweg: sie durfte beispielsweise nicht studieren.

Aus diesen Treffen entstanden zunächst in der Nikolaikirche in Leipzig die Friedensgebete, die immer am Montag stattfanden. Mitte der 1980er Jahre wandelten sich diese Treffen mehr und mehr zu systemkritischen Veranstaltungen.

Kommunismus und Kirche

Das Verhältnis von Staat und Kirche war in der DDR generell schwierig. Der allmächtige SED-Staat war atheistisch und geprägt von der Ideologie des Marxismus-Leninismus. Die Kirchen sollten keine Konkurrenz sein oder etwa eine Alternative zum Staat bieten.

So suchte die DDR den Einfluss der Kirchen aktiv und repressiv zu vermindern. Eine Maßnahme war die Abschaffung der Kirchensteuer, sodass die Kirchen in der DDR ab 1956 eine große Einnahmequelle verloren.

Eine andere Maßnahme war das Tauziehen um die Seelen von Kindern und Jugendlichen. Der Streit wurde ausgetragen bei Fragen wie der, ob Religionsunterricht an den Schulen stattfinden oder ob christliche Feiern wie die Konfirmation gefeiert werden durften. Die Jugendweihe wurde ab 1955 fast flächendeckend eingeführt. (Mehr zu SED-Staat und Religion im Beitrag zum Kirchlichen Oberseminar auf Hermannswerder hier)

Protestant_innen in der DDR

Alltag und Diktatur:

Operativer Begriff: Zersetzung

Die Zersetzung war eine vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR eingesetzte geheimpolizeiliche Arbeitstechnik. Sie diente der Bekämpfung vermeintlicher und tatsächlicher politischer Gegner_innen. Als repressive Verfolgungspraxis bestanden die Zersetzungsmethoden aus umfangreichen, heimlichen Steuerungs- und Manipulationsfunktionen und subtilen Formen ausgeklügelten Psychoterrors bis in die persönlichsten Beziehungen der Opfer hinein.

Besonders die Protestant_innen wurden in der DDR stark überwacht, weil sie die größte Religionsgemeinschaft darstellten. Katholische und jüdische Gemeinden waren dagegen Minderheiten. Die Willkür des Staatsapparates zeigte sich in der vereinzelten “Zersetzung” von Kirchenmitgliedern. So sollten beispielsweise kirchliche Mitarbeiter_innen aus der Öffentlichkeitsarbeit gedrängt werden.

Christliche Kollaborateur_innen

Auch manche kirchliche Vertreter_innen kooperierten mit der Staatssicherheit. Einige wurden zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit gezwungen, andere taten es aus Überzeugung. Laut Stasi-Akten hat mehr als die Hälfte der Kirchenleitungsmitglieder als IM für das MfS gearbeitet. Dabei gab es aber auch Fälle wie diesen: Der ehemalige Landesbischof von Thüringen Werner Leicht wurde ohne sein Wissen von der Stasi als Kontaktperson geführt, mit dem Versuch die gesamte Institution Kirche effektiv zu unterwandern.
Natürlich gab es auch Protestanten, die in der SED Parteimitglied waren. “Man wollte sich ja nicht alles verbauen, es war ein akzeptiertes Doppelleben”, so bewertet Henning Pietzsch, Historiker und Zeitzeuge, den Spagat zwischen oppositioneller Arbeit und Systemtreue.

Jugend und Kirche

Alltag und Diktatur:

Jugendweihe

Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die freireligiöse Feier, um im Alter von 14 Jahren den Übergang von Kindheit zum Erwachsenenalter zu zelebrieren. Die DDR als atheistischer Staat übernahm diese Form und lud sie politisch auf. Ab 1955 fanden die ersten Jugendweihen als Instrument zur Erziehung der Jugend im Sinne marxistisch-leninistischer Weltanschauung der SED-Ideologie statt. Es sollte eine Konkurrenz zur Konfirmation sein und wurde praktisch zur Zwangsveranstaltung. Wer nicht teilnahm, erlebte Benachteiligungen, bis hin zur versagten Zulassung zur Erweiterten Oberschule oder zum Studium.
Nachdem die Jugendlichen über ein Jahr lang an sogenannten Jugendstunden teilnahmen, wurden beim Festakt im großen Saal des Ortes offizielle Reden gehalten und die Jugendlichen bekannten sich in einem Gelöbnis zum sozialistischen Staat.

Laut Henning Pietzsch gingen Jugendliche nicht in erster Linie aus oppositionellen Gründen zu kirchlichen Gemeinden. Bis zu seiner Ausreise 1988 engagierte er sich zehn Jahre aktiv in der Jungen Gemeinde Stadtmitte Jena. Bei deren Veranstaltungen trafen sich regelmäßig junge Christ_Innen, um gemeinsam über Fragen aus Religion, Politik und Kultur zu diskutieren. Es herrschte ein freigeistiges Klima, man las Literatur, die in der DDR verboten war. (Siehe mehr zur “Verschwiegenen Bibliothek” hier)

Die meisten Gemeindemitglieder verstanden sich nicht als “Gegner des sozialistischen Aufbaus”, wie sie von staatlicher Seite bezeichnet wurden. Junge Mitglieder suchten zumeist ihre persönlichen Freiräume.

Konfirmationen durften gefeiert werden, wurden jedoch mehr und mehr durch Jugendweihen ersetzt. Ob christliche Jugendliche von Staat und Schule unter Druck gesetzt wurden, hing davon ab, wo sie lebten. Laut Pietzsch war Jena als “Hauptstadt der Opposition” ein herausforderndes Terrain für den Staat, die Junge Gemeinde hier besonders aktiv und wurde dementsprechend intensiv von der Stasi beobachtet.

In den 1960er Jahren zogen viele Menschen nach Jena, um in dem Volkseigenen Betrieb (VEB) Carl Zeiss zu arbeiten. (Siehe VEB Carl Zeiss hier) Somit vergrößerte sich die Gemeinde durch Menschen aus der gesamten DDR.

Die friedliche Revolution

In der Zeit der friedlichen Revolution wurden Kirchen zu Basislagern der Demonstrationen. In vielen Städten begannen die Massendemonstrationen mit Fürbittenandachten in den großen Kirchen. Seit dem 9. Oktober 1989 auch in der Stadtkirche St. Michael.


Adresse: Stadtkirche St. Michael Kirchplatz 1, 07743 Jena

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