Pfarrer gesucht – Inseldasein auf Hermannswerder

Wer religiös war, hatte es in der SED-Diktatur schwer, studieren oder überhaupt das Abitur machen zu können. Doch es gab Nischen. Eine dieser Nischen war das Kirchliche Oberseminar auf der Halbinsel Hermannswerder in Potsdam.

Pfarrer gesucht

Die Insel und das KOS

Das Kirchliche Oberseminar (KOS) wurde von der Hoffbauer-Stiftung ins Leben gerufen. Clara und Hermann Hoffbauer hatten ihre Stiftung 1901 gegründet, um benachteiligten Menschen zu helfen. Nach dem Tod ihres Mannes nannte sie die Potsdamer Insel Tornow in Hermannswerder um.

Alleinstellungsmerkmal

Im Gegensatz zu den Seminaren für Studienanfänger in Naumburg, Dahme und Moritzburg sowie zum theologischen Seminar in Leipzig konnte man in Hermannswerder eine staatlich anerkannte Hochschulreife erlangen. Damit erhielt man zumindest Zugang zum Studium an den theologischen Fakultäten aller Hochschulen der DDR.

Die Sicherung des theologischen Nachwuchses gehörte zu den existentiellen Themen der Landeskirchen in der DDR. Der Bedarf an Pfarrern resultierte aus der kriegsbedingten Überalterung und der beschränkten Zahl an Studienplätzen in der atheistischen SED-Diktatur.

Mit der Gründung der DDR lag die Erziehung und Schulbildung zwar fest in der Hand der SED, jedoch durfte auf Basis einer Vereinbarung zwischen der sowjetischen Militäradministration und der evangelischen Kirche 1950 auf Hermannswerder ein Priesterseminar eröffnet werden. Hier konnten sich zunächst nur junge Männer auf das Studium der Theologie oder Kirchenmusik vorbereiten. In den 1950er Jahren öffnete sich das KOS auch für Frauen. Viele Schüler_innen, denen der Besuch einer höheren Schule häufig aus religiösen und/oder politischen Gründen verweigert wurde, zum großen Teil, weil sie Pfarrerskinder waren, konnten sich hier ausbilden lassen.

 

Schule nach westlichem Vorbild

Waren es am Anfang ca. 20 Schüler_innen, so konnte das KOS seit den 1970er Jahren jährlich etwa 30 bis 50 Bewerber_innen aufnehmen. Bis 1990 konnten auf diese Weise fast 500 Seminaristen ihre Abschlussprüfungen erfolgreich absolvieren. Die Schüler_innen wohnten in den oberen Räumen des Gebäudes. Manche kamen in Hausschuhen und noch mit der frisch geschmierten Brotstulle in der Hand zum Unterricht ins Erdgeschoss.

Ab 1974 wurde ein neusprachlicher Zweig eingeführt und man war mehr und mehr bestrebt, ein breites und ganzheitliches Bildungsspektrum auf humanistischer Basis anzubieten. Freiheitliches Denken und offene Meinungsäußerung nahmen immer mehr Raum ein und waren ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung. 1982 übernahm die KOS-Leitung das Kurssystem der reformierten Oberschule aus der Bundesrepublik Deutschland. Die KOS-Schüler_innen absolvierten ihre Schullaufbahn und die Abschlussprüfungen nach nordrhein-westfälischem Lehrplan – und das zu DDR-Zeiten!

Inseldasein im Visier der Staatssicherheit

Alltag und Diktatur:

Ministerium für Staatssicherheit (MfS)

Das Ministerium für Staatssicherheit (kurz Stasi) war eines der wichtigsten Instrumente, um die Herrschaft der SED zu sichern. Die Stasi überwachte die DDR-Bürger_innen flächendeckend und präventiv. Häufig setzte sie auch Repressalien wie Gewaltanwendung, Freiheitsberaubung, Einschüchterung und Erpressung ein, um an ihre Informationen zu gelangen. Im Durchschnitt kam auf 100 Einwohner_innen ein IM (informelle/r Mitarbeiter_in). Siehe: Jens Gieseke: Die Stasi 1945-1990. München 2011. Siehe auch das Stasi-Museum und einen Bericht über die Ausstellung.

Trotz der Vereinbarung blieb die Bildungseinrichtung im Visier der DDR-Regierung und wurde wiederholt in Frage gestellt. Im Jahr 1957 wurde die Hochschulberechtigung sogar widerrufen, doch die Abschlüsse am KOS konnten mittels Sonderreifeprüfungen weiter bestätigt werden. Insbesondere die politische Bedeutung des KOS stand im Fokus des Ministeriums für Staatssicherheit. Die Insel blieb unter ständiger politischer Beobachtung. Hausdurchsuchungen, besonders nach unerlaubten Büchern in der Bibliothek, waren an der Tagesordnung. Einige ehemalige Schüler_innen berichteten, dass sie in ihren Stasi-Unterlagen auch Eintragungen ihrer Lehrenden vorfanden, die ihre Vertrauenspersonen waren, und die Gesprächsinhalte an die Stasi weitergereicht hatten.

Landesjugendtage

Ein Dorn im Auge der Staatssicherheit waren jegliche christliche Versammlungen, die nicht vom Sozialismus geprägt waren und somit eine mögliche Alternative zur Einheitlichkeit im Arbeiter- und Bauernstaat waren. Diese misstrauische Haltung galt dem Kirchlichen Oberseminar im Allgemeinen, aber im Besonderen auch den Landesjugendsonntagen, die auf Hermannswerder seit 1949 stattfanden. Da sie der christlichen Jugend in der atheistischen DDR eine Möglichkeit gaben, Kontakte zu knüpfen und ihren Weg zum Glauben zu stärken.

Nach der Grenzschließung durch den Mauerbau entwickelte sich auf der Insel ein facettenreiches Spektrum kirchlicher Veranstaltungen: Synoden der Landes- und Bundeskirche, auch unter Leitung des damaligen Oberkirchenrates Manfred Stolpe – von 1990 bis 2002 der erste Ministerpräsident des Landes Brandenburg – Jugendsonntage sowie später Radsternfahrten oder Umweltschutztreffen.

Aus den Jugendsonntagen in Hermannswerder wurde eine feste Tradition und diese entwickelten sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer wichtigen Plattform der Begegnung christlicher Jugend in der DDR. Trotz eines staatlichen Verbots konnte der Zuspruch und die Teilnahme von bis zu 3000 Jugendlichen nicht unterbunden werden, die häufig über mündliche Weitergabe von den jährlich stattfindenden Treffen erfuhren. Vornehmlich ging es thematisch um Fragen der Lebensbewältigung aus dem christlichen Glauben heraus. Die Jugendlichen zelteten auf der Insel und genossen die Möglichkeiten des Zusammenseins.

Das KOS nach dem Mauerfall

Die größte Einschränkung bestand darin, dass man mit dem Abitur keine “allgemeine” Hochschulreife erlangen konnte und sich so nur zu den Studienfächern Theologie oder Kirchenmusik einschreiben konnte. Doch nach 1989/1990 wurden die Abschlüsse nachträglich als Abitur anerkannt, die Absolvent_innen des KOS konnten mit ihrer breiten Ausbildung, v.a. in Griechisch, Latein und Hebräisch, nun auch Medizin oder Philosophie studieren. Das KOS wurde umstrukturiert und entwickelte sich gleich nach 1990 zum ersten konfessionellen Gymnasium in Ostdeutschland. Heute gehen hier ca. 700 Schüler_innen von der 5. bis zur 12. Klasse zur Schule.


Adresse: Kirchliches Oberseminar heute Evangelisches Gymnasium Hermannswerder Hermannswerder 18, 14473 Potsdam

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