Kunst, Literatur und Wissenschaft: Die Stadt- und Landesbibliothek

Die Potsdamer Stadt- und Landesbibliothek war eine der ersten, die Wissenschaft, Belletristik und Kunst unter ein Dach brachte. Für viele andere Bibliotheken in der DDR war sie ein Vorbild.

Noch ein Bild zum Buch?

Alltag und Diktatur:

Die “Verschwiegene Bibliothek”

Das “Archiv unterdrückter Literatur in der DDR” wurde von Ines Geipel und Joachim Walther 2001 gegründet. Sie trugen weitgehend unbekannte, regimekritische Literatur jenseits des offiziell geduldeten DDR-Literaturkanons zusammen. Das Archiv stellt Vor- und Nachlässe von Autor_innen bereit, deren Texte zu DDR-Zeiten geschrieben, aber nicht veröffentlicht werden durften. Inzwischen sind rund 100 Autor_innen aus den Jahren 1950 bis 1990 hier erfasst. Als Herausgeber_innen haben Ines Geipel und Joachim Walther zwischen 2004 und 2009 zehn Bände der Edition “Verschwiegenen Bibliothek” veröffentlicht. Die “Verschwiegene Bibliothek” wurde mit Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur realisiert. Die komplette Textsammlung ist dort archiviert.

Wer sich für ein verregnetes Herbstwochenende mit guten Büchern eindecken und gleichzeitig noch ein hübsches Bild für die kahle Wohnzimmerwand finden wollte, der war in der Potsdamer Stadt- und Landesbibliothek genau richtig. Neben einer großen Auswahl an Belletristik und Wissenschaftsliteratur war in ihren Räumen auch eine Artothek untergebracht. Mit einem Bibliotheksausweis konnte man sich dort auch einzelne Exemplare aus einer Auswahl an Gemälden und Zeichnungen ausleihen. Für alle Brandenburg- und Fontane-Fans war die Bibliothek außerdem eine wahre Goldgrube: In der “Brandenburgica-Sammlung” mussten alle Veröffentlichungen in und über Brandenburg mit mindestens einem Exemplar vertreten sein. Dies gilt bis heute.

Ein Hauch von Moderne

Der Neubau der Bibliothek wurde 1974 fertiggestellt. Zentral gelegen, mehrstöckig und großzügig gestaltet, versprühte das Gebäude einen Hauch von Moderne. In der großen Eingangshalle waren die Artothek, die Musik- und Kinderbibliothek sowie die Belletristik untergebracht. Der zweite Stock wurde voll und ganz der Sach- und Wissenschaftsliteratur gewidmet.

Immer wieder war die Bibliothek auch ein Ort für öffentliche Veranstaltungen. Im sechsten Stock konnte man sich so z.B. Improvisationskonzerte vom Saxophonisten Dietmar Diesner mit Tanzaufführungen der Tänzerin Fine Kwiatkowski ansehen. Allerdings ungünstig für all jene, die nicht mehr so mobil waren, denn es gab keine Fahrstühle.

Als Bibliothekar_in war man auch immer Sozialarbeiter_in

Interview mit Rosemarie Spatz – Über das Kulturangebot der Bibliothek

Für diejenigen, die es nicht bis in die Stadt hinein, geschweige denn es in den 6. Stock schafften, gab es genügend kleinere Ableger der Stadt- und Landesbibliothek. Insgesamt gab es neun Zweigbibliotheken und zwölf Ausleihstellen in der ganzen Stadt, teilweise klein oder sogar als fahrbare Bibliothek, teilweise nur als Kinder- oder Erwachsenenbibliothek.
Jochen Kranert hat 40 Jahre in der Stadt- und Landesbibliothek gearbeitet und ist heute Vorsitzender des Vereins “Die Potsdamer Bibliotheksgesellschaft e.V.”. “Es war perfekt”, erinnert sich Kranert und ergänzt einschränkend, “also für die damalige Zeit”. Denn heute führe der Bau eines neuen Stadtteils nicht selbstverständlich zur Errichtung einer Bibliothek. Wichtig war für die Kiezbewohner_innen neben dem Ausleihen von Büchern nämlich vor allem der Austausch mit ihren Nachbar_innen und Mitbürger_innen.

Alte Menschen, die nur selten aus ihren Wohnungen heraus gingen, unterhielten sich hier mit den Bibliothekar_innen und anderen Besucher_innen der Bibliothek. Kinder kamen nach der Schule oder dem Hort hierher und warteten, bis ihre Eltern von der Arbeit nach Hause kamen. “Man war immer auch Ansprechpartner für die Jugendlichen, fast wie in einem Hort”, so Rosemarie Spatz, ehemalige Bibliothekarin in der Stadt- und Landesbibliothek und dort besonders für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Auch Helen Thein war Bibliothekarin in einer Zweigstelle. Dort genoss sie vor allem die vielen Freiheiten, die ihr die Arbeit bot. Sie konnte die Schaufenster gestalten und ihren Bibliothekskunden viel Zeit widmen, um sie bei der Büchersuche zu beraten. Schließlich sei ein/e Bibliothekar_in de fakto ein/e Informationsmanager_in. Damals wie heute. Damals gab es Schulungen und Unterstützung für Schüler_innen, Erstsemesterstudierende und Benutzer_innen der Bibliothek, um zu erfahren, wie man nach Büchern suchen kann. Die Einführung gibt es auch heute noch, allerdings mittlerweile am Computer.

Selbst das Internet hat es nicht geschafft die Bibliothek obsolet werden zu lassen. Im Gegenteil: Sie wird wieder verstärkt als Ort der Begegnung und des Austausches geschätzt, merkt Helen Thein an. Etwas ärgerlich findet sie es schon, dass nach 1989 sehr schnell viele Zweigstellen geschlossen worden sind. Mitarbeiter_innen, die freiwillig gingen, bekamen sogar Abfindungen. Und nun, fast 30 Jahre später stelle die Stadtverwaltung fest, dass ihnen diese Begegnungsorte in den einzelnen Stadtteilen fehlen.

Keine Arbeit war keine Alternative

Interview mit Helen Thein – Die Bibliothek als Sammelbecken für Aussteiger_innen

Weil in der DDR jeder arbeiten musste, suchten sich viele Menschen auch abseitige Berufe: Friedhofsgärtner, Briefträger oder eben Bucheinsteller im Magazin der Bücherei.

Helen Thein machte damals zunächst eine Ausbildung zum Facharbeiter. Sie hat in der Bibliothek in der Magazinausleihe begonnen und findet es bis heute erstaunlich, dass sie niemand komisch angeschaut oder angefeindet hat, obwohl sie als Punk durch ihre schwarze, selbstgenähte Kleidung und dem Irokesenschnitt eigentlich so gar nicht in die Bibliotheksumgebung passte. Dass die Bibliothek für viele ein Schutzort war, bestätigt auch Rosemarie Spatz, die in der Öffentlichkeitsarbeit unter anderem für den Jugendclub zuständig war. Die Mitarbeiter_innen standen zwar immer unter Beobachtung, aber es wurde zwischen den Zeilen kommuniziert.

Braune Hüllen und begrenzter Zugang

Interview mit Helen Thein – Über Bücher in Kunstleder

Die Buchrücken ließen keine Neugierde zu, denn die Bücher waren in Kunstleder neu eingebunden, braun die Bücher der Belletristik, die Kinder und Jugendbücher gestaffelt nach Alter in gelb, rot oder blau. Mit einer goldenen Farbe war der Titel und der Name der Autor_innen auf den Buchrücken gestempelt. Die Ästhetik spielte keine Rolle, dafür die längere Nutzbarkeit der Bücher, die man einfach von außen abwischen konnte.

Viele Bücher standen in frei zugänglichen Bücherregalen und die Benutzer_innen konnten sie sich herausnehmen. Neben der ostdeutschen Literatur und übersetzten Büchern aus den sowjetischen Bruderstaaten, gab es auch westdeutsche Literatur und viele übersetzte britische, französische oder US-amerikanische Bücher. Bücher, die nicht für jeden zugänglich sein sollten, waren im Magazin und somit vor neugierigen Blicken, der Benutzer_innen ohne Kenntnisse über die Literaturvielfalt, verborgen.

Mit Hilfe von Katalogzetteln – damals gab es noch keine Computer und das erste elektronische Katalogsystem wurde Ende der 1980er Jahre eingeführt – konnte man sich zurechtfinden. Auf dem Katalogzettel wurde, neben der Information zum Buch, rechts oben vermerkt, ob das Buch nur für den wissenschaftlichen Verwendungszweck genutzt werden durfte. Diese Einschränkung galt beispielsweise für die Werke von Sigmund Freud, aber auch für Bildbände von Salvador Dalí.

Wenn man ein solches Buch, das selbstverständlich im Magazin und nicht in der Freihandaufstellung stand, ausleihen wollte, musste man den Verwendungszweck schriftlich vorweisen. Einmal getan, durfte diese_r Nutzer_in das Buch immer wieder zum Lesen in die Bibliotheksräume anfordern. Wer ein Buch in die Hände bekam, war aber auch abhängig von der Arbeitskraft im Magazin, so Helen Thein. Still und heimlich konnte so der eine oder die andere ein Buch lesen, für das er oder sie eigentlich keinen wissenschaftlichen Verwendungszweck aufweisen konnte.

Von der Schwierigkeit Bücher zu beschaffen

Interview mit Jochen Kranert und Rosemarie Spatz – Über die Verfügbarkeit von Büchern

In der chronisch unterfinanzierten DDR wurde argumentiert, dass kostbare Bücher nur für Wissenschaftler_innen zur Verfügung stehen sollten. Der “Büchermangel” begleitete die DDR die ganzen vierzig Jahre ihres Bestehens. In den Bombenangriffen der letzten Kriegswochen des Zweiten Weltkrieges sind viele Bücher verbrannt. Die Bibliotheksmitarbeiter_innen sammelten zusammen, was nicht verloren gegangen war. So konnte gemeinsam mit den Bücherspenden aus der Bevölkerung schon im Dezember 1945 eine kleine Ausleihe ermöglicht werden. Bis 1950 wuchs die Bibliothek vor allem durch die Übernahme von Schloß- und Gutsbibliotheken heran, die auf Grund der Bodenreform enteignet wurden. Neuanschaffungen von Büchern, besonders aus dem Ausland, waren ein schwieriges Unterfangen. Auf Büchermessen konnten Restbestände abgekauft werden und die Bibliotheken konnten ihren Bedarf anmelden und erhielten, wenn sie Glück hatten, einige, der heiß begehrten Exemplare.


Adresse: Stadt- und Landesbibliothek Am Kanal 47, 14467 Potsdam

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