Die Hochburg der Optikindustrie – VEB Zeiss

1846 gegründet und hundertundzwei Jahre später gegen den erbitterten Widerstand der Belegschaft verstaatlicht: Das VEB Carl Zeiss Jena war mit zuletzt über 30.000 Mitarbeiter_innen eines der größten und erfolgreichsten Kombinate der DDR.

Alltag und Diktatur:

Volkseigene Betriebe (VEB)

In den 1950er Jahren wurden private Unternehmen enteignet und verstaatlicht. Die sogenannten Volkseigenen Betriebe (VEB) waren staatliche Unternehmen. Ein Kombinat setzte sich aus mehreren VEB zusammen. Hier wurden Produktionszweige zusammengefasst und zentral geleitet. Das Ziel der Produktionsorganisation bestand darin, alle Abläufe möglichst zentral zu planen.

Im Volkseigenen Betrieb (VEB) Carl Zeiss wurde in der Fertigung nach Leistungslohn gearbeitet, anders als in vielen anderen Betrieben in der DDR, berichtet Jürgen Dömel, ein langjähriger Mitarbeiter. Die einzelnen Teile eines Produktes wurden nach Minuten be- und abgerechnet, so dass die Mitarbeiter_innen – sofern sie schnell und fleißig waren – mitunter überdurchschnittlich gut bezahlt wurden.

Weil Lieferschwierigkeiten ein weitverbreitetes Problem in der SED-Planwirtschaft waren, wurden alle benötigten Teile direkt im Werk hergestellt, um Verzögerungen zu vermeiden. Auch Lieferungen aus dem sozialistischen Ausland waren oft nur schwer zu organisieren.

Die Produktpalette des Werks war breit: Teile für Kinotechnik, Mikroskope, Teleskope, aber auch die ganze Technik für Planetarien wurden dort hergestellt – zum Beispiel für das Planetarium in Wolfsburg. Auch die Multispektralkamera, die 1976 an Bord des sowjetischen Raumschiffs Sojus 22 im Einsatz war, wurde im Kombinat gefertigt.

Interview mit Wolfgang Wick – Volkswagenautos für ein Planetarium

Mikroskope vom VEB Carl Zeiss (c) Zeiss Archiv
Mikroskope vom VEB Carl Zeiss (c) Zeiss Archiv

Nach der sozialistischen Ideologie des Arbeiter- und Bauernstaates wurden die Arbeiter_innen deutlich besser entlohnt, als das Personal auf Leitungsebene. So verdiente man in der Produktion fast doppelt so viel wie ein_e Abteilungsleiter_in. Jürgen Dömel verdiente zum Ende des SED-Regimes in dreifacher Schicht über 2000 DDR-Mark monatlich. Das durchschnittliche Bruttoeinkommen von Vollzeitbeschäftigten lag in der DDR 1989 bei 1300 DDR-Mark.

Arbeiter des Landes: Kommt nach Jena

1965 wurde der VEB Carl Zeiss zum Kombinat umstrukturiert. Das Werk wuchs schnell und mit ihm der Personalbedarf. So musste man in der gesamten DDR um Nachwuchs werben. Mit den neu gebauten Wohnungen im Stadtteil Neulobeda und einem Gehalt, das in der DDR unüblich war, versuchte das Kombinat die Leute nach Jena zu locken. Lehrlinge, die ihre Lehre abschließen wollten, stellte die Kombinatsführung für diese entsprechende Zeit von ihrer Werktätigkeit frei. Allein im Jahr 1974 wurden 2400 neue Lehrlinge eingestellt. Und die, die kamen, blieben. Viele Nachnamen tauchen immer wieder in den unterschiedlichen Abteilungen auf, denn ganze Familien arbeiteten über Generationen bei Zeiss.

Zusätzliche Anreize bot das Bildungsangebot des Werks: Es gab das Zeiss-Philharmonie-Orchester und den Zeiss-Fanfarenverein. Außerdem gab es, wie in fast allen Volkseigenen Betrieben und Kombinaten üblich, verschiedene Zirkel: Mal-, Dicht-, Lese- oder Theaterzirkel. Eine Art Freizeitangebot für die Nachmittage und Abende. Diese Zirkel wurden häufig von Berufskünstler_innen geleitet. Hier sollten sich die Mitarbeiter_innen künstlerisch bilden und verwirklichen.

Besonders identitätsstiftend und auch eine Art Außenwerbung für das Kombinat war zudem die Fußballmannschaft FC Carl Zeiss Jena. (Siehe mehr zum Thema Fußball hier)

“Man erkennt einen Zeissianer schon am Vorgarten”

Interview mit Jürgen Dömel – Über die Zeissianer

Als Jürgen Dömel 1965 seine Lehre bei dem Volkseigenen Betrieb Carl Zeiss begann war er gerade in der neunten Klasse. Er arbeitete bis zum Mauerfall in der Vorfertigung. Ab 2003 bis zu seiner Rente war er Vorsitzender des Konzernbetriebsrates und bietet heute interessierten Besucher_innen Werksführungen an.

“Zeissianern” sagt man gern nach, dass sie ein eigenes Völkchen für sich seien. Laut Dömel gab es bestimmte Marotten und Sprüche, wie etwa “Fünf Minuten vor der Zeit, ist des Zeissianers Pünktlichkeit”, an denen man eine_n Zeissianer_in erkennen konnte. “Pünktlichkeit, Ordnungsliebe und natürlich genaues Arbeiten wird vom ersten Tag an verlangt, das nimmt man für sein ganzes Leben mit”, erklärt Jürgen Dömel. Manch einer behauptet sogar, man erkenne einen Zeissianer schon an seinem ordentlichen Vorgarten und an der akkuraten Bauweise des Lattenzaunes.

Bespitzelung durch die Staatssicherheit und informelle Mitarbeiter_innen war für Jürgen Dömel kein großes Thema. Im Produktionsbereich habe man das ein oder andere sagen können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Jürgen Dömel erläutert: “Wir wussten ja, wir werden gebraucht. Ohne uns läuft nichts.” Man habe dadurch eine gewisse Freiheit gehabt. Doch wenn man die Position eines Meisters hatte, oder in der Verwaltung arbeitete, und somit eher aus dem Kollektiv hervorstach, hielt man sich eher bedeckt, um nicht negativ aufzufallen.

Interview mit Jürgen Dömel – Über die Bespitzelung in der DDR

Wohnen in Neulobeda

Die Mitarbeiter_innen kannten sich nicht nur von der Arbeit. Die meisten von ihnen lebten in der Plattenbausiedlung Neulobeda dicht beieinander, Wohnung an Wohnung. (Siehe den Artikel zu Neulobeda hier). Wenn die Arbeiter_innen mit den Bussen vom Kombinat nach Hause fuhren, hielten viele Einkehr im Kulturzentrum, um ein Feierabendbier in einer der zahlreichen Bars zu trinken. Und an den Wochenenden trafen sich die Familien häufig zum Eisbeinessen, oder nutzten andere Freizeitangebote des Kulturzentrums.

Zeiss – Ost – West – und heute

Das traditionsreiche Unternehmen war unter der nationalsozialistischen Herrschaft ein Rüstungsunternehmen und wurde von den alliierten Siegermächten auch dementsprechend behandelt. Die amerikanischen Besatzer, die das Zeiss-Werk von April bis Juni 1945 in Beschlag genommen hatten, nahmen Patente, Konstruktionsunterlagen und spezielle Produktionseinrichtungen an sich und siedelten über 100 Mitarbeiter_innen in das amerikanische Besatzungsgebiet über.
Durch die territoriale Aufteilung gehörte Jena danach zur sowjetischen Besatzungszone. Um Reparationszahlungen zu begleichen, rechtfertigte die Sowjetunion die Demontage des restlichen Produktionsapparates und deportierte über 200 “Zeissianer” – Wissenschaftler_innen, Ingenieur_innen und Facharbeiter_innen – in die UdSSR.

Unter diesen schwierigen Umständen wurde das Werk von Carl Zeiss 1948 langsam wieder aufgebaut. Und zwar in Ost- und Westdeutschland: in Jena wurde das industrielle Vermögen der Carl-Zeiss-Stiftung verstaatlicht. In Westdeutschland entstand das Zeiss-Werk und die Carl-Zeiss-Stiftung in der amerikanischen Besatzungszone in Oberkochen (Baden-Württemberg).

Das traditionelle Fertigungsprogramm war an beiden Standorten ähnlich. Auch wenn sie teilweise verschiedene Schwerpunkte hatten entwickelten sie sich schnell zu Konkurrenten. Nach einer langen Auseinandersetzung um die Namensrechte einigten sich beide Unternehmen 1971 in London darauf, dass sie das Warenzeichen “Carl Zeiss” mit der Hervorhebung des Standortes nutzen durften. VEB Carl Zeiss Jena war berechtigt in die sozialistischen Staaten, den Libanon, nach Syrien und Kuwait zu exportieren und war im optischen Präzisionsgerätebau führend. Die Firma Carl Zeiss Oberkochen exportierte stattdessen nach Italien und Griechenland sowie in die Beneluxstaaten und in die USA.

Ein besonderes Problem des zentral verwalteten Wirtschaftssystem der DDR war, dass Kombinate und Volkseigene Betriebe nicht ausreichend saniert und modernisiert wurden. Die Werke kamen in die Jahre und konnten immer seltener mit der Konkurrenz aus dem Ausland Schritt halten. 1989/1990 wurde das Kombinat VEB Carl Zeiss schließlich aufgelöst, privatisiert und in eine GmbH umgewandelt. Danach übernahm das Zeiss-Unternehmen in Oberkochen die Carl Zeiss Jena GmbH. Die Wiedervereinigung der beiden Unternehmen war eine politische, wirtschaftliche und soziale Aufgabe. In Jena wurde die Beschäftigtenzahl auf 2.000 Mitarbeiter_innen reduziert. Das Werk hatte nicht nur mit den gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozessen nach der Wiedervereinigung, sondern auch mit einer davon unabhängigen sinkenden Nachfrage nach Zeiss-Präzisionsgeräten auf dem Weltmarkt zu kämpfen.


Adresse: ehemaliger VEB Carl Zeiss Carl-Zeiss-Promenade 10 07745 Jena

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