Das Rügen-Hotel – Alles vom Feinsten, aber nicht für alle

Sassnitz liegt am nördlichsten Ende der ehemaligen Transitstrecke, die West-Berliner_innen und andere Westeuropäer_innen zu DDR-Zeiten nutzten konnten, um mit der “Königslinie” weiter nach Schweden zu reisen. Nur die Ostdeutschen blieben am Hafen zurück. Als mehr und mehr Schwed_innen zum kurzen Einkaufstrip nach Sassnitz kamen, wurde das Rügen-Hotel erbaut.

Ostdeutsche und schwedische Bauarbeiter

Auf dem Hochufer von Sassnitz, oberhalb des Sassnitzer Stadthafens wurde 1968 ein neunstöckiges Hochhaus erbaut. Seitdem ragt es über der kleinen Stadt mit seinen nun sanierten Villen und Pensionen aus der Bäderarchitektur des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.

Von der Tiefgarage bis zum Erdgeschoss übernahmen DDR-Bauarbeiter die Arbeiten. Die restlichen Stockwerke, die Montage sowie die gesamte Innenausstattung übernahm die schwedische Baufirme SIAB (Svenska Industribyggen AB), die von der SED-Bezirksleitung mit Devisen bezahlt wurde.

Da Sassnitz als Stadt überschaubar war, lernten sich die Sassnitzer_innen und die schwedischen Bauarbeiter während der Bauzeit gut kennen. Abends traf man sich in der von der Baustelle schräg gegenüber liegenden HO-Gaststätte Stubnitz und feierte zusammen (siehe den Artikel “Das Stubnitz-Kino steht leer”). Aus manchen Freundschaften entwickelten sich Beziehungen. Einige Paare heirateten sogar nach Fertigstellung der Baustelle und feierten im Rügen-Hotel ihre Hochzeit.

Alles vom Feinsten – aber nicht für alle

Alltag und Diktatur:
Genex

Die Geschenkdienst- und Kleinexporte GmbH (kurz Genex) war ein Unternehmen, das 1956 auf Anordnung des SED-Regimes gegründet worden ist. Es war eine der wichtigsten Devisenquellen der Kommerziellen Koordinierung (KoKo), einer Abteilung des Ministeriums für Außenhandel der DDR. Genex veröffentlichte den Katalog “Geschenke in die DDR”. Hier konnten Westdeutsche Waren auswählen, bestellen und mit DM bezahlen, die dann direkt an ihre Verwandten in der DDR verschickt wurden. Siehe Matthias Judt: Der Bereich Kommerzielle Koordinierung. Das DDR-Wirtschaftsimperium des Alexander Schalck-Golodkowski – Mythos und Realität. Berlin 2013.

Entstanden ist ein zweckmäßiger Bau, der für damalige Verhältnisse modern und komfortabel war und zunächst den ausländischen Gästen sowie hohen DDR-Funktionären und bekannten Persönlichkeiten, wie beispielsweise dem beliebten DDR-Komiker Rolf Herricht oder dem Schauspieler Manfred Krug, als Unterkunft diente.

Bei den Schwed_innen waren die Überfahrten an den Wochenenden mit der Fährverbindung von Trelleborg nach Sassnitz und zurück sehr beliebt. Sie kauften zollfrei und günstig an Bord der Schiffe ein. Rund 100 Schwed_innen kamen je Wochenende auf diese Weise zur Übernachtung ins Rügen-Hotel. Sie genossen den Panorama-Ausblick, tranken und tanzten in der Bar bis zwei Uhr nachts und fuhren am nächsten Tag wieder zurück. Diese Besucher_innen aus dem Ausland waren begehrt, denn sie brachten Devisen ins Land.

Wer in den ersten Jahren des Hotels ein Zimmer mit DDR-Mark zahlen wollte, hatte Pech, man konnte nur mit Devisen zahlen. Doch gab es auch für “normale” DDR-Bürger_innen eine Möglichkeit dort zu übernachten: Westdeutsche konnten ihren ostdeutschen Verwandten ein Hotelzimmer über Genex, die Geschenkdienst- und Kleinexporte GmbH, schenken, natürlich in DM bezahlt.

Erst ab Mitte der 1970er Jahre, unter Erich Honecker, wurde die Unterbringung von einheimischen Gästen in den Interhotels, aber auch im Mitropa Rügen-Hotel von oben verordnet. Die Zimmer wurden überwiegend vom FDGB-Feriendienst (Feriendienst des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes) belegt. So kam es, dass neben den ausländischen Gästen und den hochkarätigen DDR-Promis auch 30 Betten für Werktätige, wie etwa die Eisenbahnwaggonschrubber_innen der Mitropa, freigehalten werden mussten, die hier ihren Erholungsurlaub machen durften. Die auserwählten Urlauber_innen zahlten für zwei Personen und acht Tage Aufenthalt 60 DDR-Mark und erhielten zusätzlich Wertgutscheine, die sie im Hotelrestaurant einlösen konnten.

Blick auf das Rügen-Hotel (c) Stadtarchiv Sassnitz / Fotograf Harro Schack

Das Rügen-Hotel als Karrieresprungbrett

Alltag und Diktatur:

Luxus in der DDR

In den drei Nord-Bezirken der DDR gab es neben dem Rügen-Hotel noch weitere bekannte Unterkünfte: “Neptun” in Warnemünde, “Warnow” in Rostock, “Vier Tore” in Neubrandenburg und “Stadt Schwerin” in Schwerin.

Ausgestattet war das Rügen-Hotel mit über 200 Betten, einem Hotelrestaurant und einer Cafeteria (später Stadtrestaurant), einer Tanzbar mit Außenbalkon im 9. Stockwerk, einem Intershop, einem Friseur, einer Tiefgarage mit Auto-Pflege-Service und einem Schwimmbad mit Sauna und Solarium.

Das Hotel wurde vom Mitropa-Fährbetrieb Sassnitz betrieben. Bewirtschaftet wurden außerdem noch eine Wäscherei und das sogenannte Stapelhaus, in dem ein Lager mit Fleischerei, Vorbereitungsküche und Personalverkaufsstelle untergebracht waren. Hier konnten auch Sassnitzer_innen manchmal Produkte kaufen, die es beim Konsum beispielsweise nicht gab.

Im Rügen-Hotel arbeiten zu dürfen, war eine Ehre, so Henning Dost, einer der ehemaligen Geschäftsführer des Hotels. Die Mitarbeiter_innen arbeiteten im Kollektiv, Wert wurde besonders auf Fleiß, Engagement und Ordnung gelegt. So erstaunt es nicht, dass viele gut ausgebildete Mitarbeiter_innen nach 1989/1990 häufig in anderen begehrten Hotels Arbeit fanden und aus Sassnitz wegzogen. Der Hoteldirektor Bernd Reichel leitete das Hotel von 1968 bis zur Übernahme durch die Raulff-Gruppe im Jahre 1995.

Blick vom Rügen-Hotel auf das Fischkombinat (c) Stadtarchiv Sassnitz / Foto Harro Schack
Blick vom Rügen-Hotel auf das Fischkombinat (c) Stadtarchiv Sassnitz / Foto Harro Schack

Eine besondere Attraktion: Das Schwimmbad mit Sauna

Filmtipp

Wer das Rügen-Hotel der Anfangsjahre erblicken möchte, kann sich den Film “Ein Jahr voll Musik” anschauen, der 1970 vor und im Rügen-Hotel mit den Schauspielern Rolf Herricht und Gerd E. Schäfer gedreht wurde. Nationale sowie internationale Schlager-Stars wie Frank Schöbel oder Gilbert Bécaud sind zu sehen.

Das Schwimmbad war zunächst ein erwärmtes Außenbecken. Nachdem die Möwen es aber unter Beschlag genommen hatten, wurde kurzerhand ein Dach gebaut. Nicht von irgendjemandem, sondern vom Rügener Ingenieur Ulrich Müther (siehe die Müther Halle in Magdeburg hier), der in der gesamten DDR bekannt war und sogar im Ausland seine Hyparschalen baute. 1978 wurde die Buckelschale mit dem Spritzbetonverfahren über dem Schwimmbecken errichtet. Müther baute in Sassnitz außerdem die Kurmuschel, die aussieht wie eine riesige Fischflosse, die zum Himmel ragt. Besonders bekannt ist er auch durch die “Ufo”-Rettungstürme am Strand von Binz.

In dem Schwimmbad wurde im zwei-Schichten-Betrieb an sieben Tagen in der Woche gearbeitet. Morgens um 6:30 Uhr begann die erste Schicht. Da musste das Schwimmbad geschrubbt, alles hergerichtet und die großen Hibiskuspflanzen in den Kübeln gegossen werden. Das Schwimmbad war normalerweise von 7 bis 22 Uhr geöffnet. Die ehemalige Leiterin Hildegard Beck, erinnert sich, wie so manch betrunkener Schwede, teilweise auch nackig, nachts ins Becken sprang und sie ihn dann mit Verstärkung aus dem Becken fischen musste.

Legendäre Feiern

Die Sassnitzer_innen konnten nicht nur das Schwimmbad und die Sauna besuchen. Legendär waren auch die vielen Feiern in der Nachtbar mit Panoramablick im 9. Stockwerk, zum Beispiel die Faschingsveranstaltungen, die seit 1976 zur Tradition des Hauses wurden. Beliebt waren aber auch die 180 Karten, die nicht-Gäste des Rügen-Hotels für die Silvesterfeier kaufen konnten. Einmal wurde dafür die Tiefgarage geräumt und mit Bartresen, Sand vom Strand und 50 Strandkörben hergerichtet.


Adresse: Rügen-Hotel Seestraße 1, 18546 Sassnitz

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