Das Stubnitz-Kino steht leer

Mitten in Sassnitz steht seit über fünf Jahren ein großes Haus leer. Es ist ungewiss, was aus diesem Gebäude werden soll. Was hier einmal war, davon können fast alle Sassnitzer_innen erzählen, denn in diesem ehemaligen Kulturzentrum der Stadt verbrachten viele ihre Freizeit.

Ein Kino für den ländlichen Raum

Da sich Sassnitz durch die Industrialisierung der Fischerei mehr und mehr vom Fischerdorf zur Stadt entwickelte, benötigte der Ort ein eigenes “Kulturhaus”. Die Entscheidung der SED-Leitung fiel auf den Bau eines Lichtspieltheaters mit Gastronomiebetrieb und einem Kurhaus. Das Gebäude bekam den Namen Stubnitz-Kino – nach einem Kühlschiff der DDR-Hochsee-Fischfangflotte.

Das Haus wurde 1958 gegenüber dem Seemannsheim, dem heutigen Kurhotel, errichtet. Die künstlerische Gestaltung des Eingangsbereiches übernahm der damals dreißigjährige Rostocker Bildhauer Jo Jastram. Er fertigte die Steinplatten in Sgraffito Kratztechnik an.

Während das Kino gebaut wurde, revolutionierte sich Mitte der 1950er Jahre international die Technik der Filmvorführung. Das Breitwandformat wurde modern, so dass das Stubnitz-Kino schon während des Bauvorhabens modernisiert wurde, um den neuen Anforderung gerecht zu werden. Die Bühne musste den neuen Maßen angepasst werden, eine fahrbare Leinwand wurde aus Ost-Berlin beschafft. Außerdem musste Raum für die neuen Vorführmaschinen geschaffen und 60 Lautsprecher an den Wänden des Zuschauerraumes installiert werden. Zusätzlich wurden Umkleideräume für die Künstler_innen gebaut. So konnte eine vielfältige Nutzung der Bühne und des Lichtspieltheaters ermöglicht werden.

Eröffnung und Nutzung

Alltag und Diktatur:
Jugendweihe

Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die freireligiöse Feier, um im Alter von 14 Jahren den Übergang von Kindheit zum Erwachsenenalter zu zelebrieren. Die DDR, als atheistischer Staat, übernahm diese Form und lud sie politisch auf. Ab 1955 fanden die ersten Jugendweihen als Instrument zur Erziehung der Jugend im Sinne marxistisch-leninistischer Weltanschauung der SED-Ideologie statt. Es sollte eine Alternative zur Konfirmation sein und wurde praktisch zur Zwangsveranstaltung. Wer nicht teilnahm, erlebte Benachteiligungen, bis hin zur versagten Zulassung zur Erweiterten Oberschule oder zum Studium.
Nachdem die Jugendlichen über ein Jahr lang an sogenannten Jugendstunden teilnahmen, wurden beim Festakt, oft in einem größeren Saal oder örtlichen Theater, offizielle Reden gehalten und die Jugendlichen bekannten sich in einem Gelöbnis zum sozialistischen Staat.

Am 23. Dezember 1958 wurde das Kino im ersten Obergeschoss eröffnet. Für die Bauarbeiter_innen wurde am selben Tag der leichte Operetten-Film “Mazurka der Liebe” ausgestrahlt, dessen Augenmerk auf bunten Massenszenen und schwungvollen Tänzen lag. Das offizielle Kinoprogramm startete mit dem im November erschienenen DEFA-Film “Das Lied der Matrosen”. 40 Jahre nach der Novemberrevolution stilisierten die Filmemacher Kurt Maetzig und Günter Reisch den Kieler Matrosenaufstand von 1917/18 zum Vorboten der DDR.

Da der Eintrittspreis sehr gering und auf den schlechteren Plätzen sogar unter 1 DDR-Mark lag, gewöhnten sich die Sassnitzer_innen an, zwei- bis dreimal wöchentlich ins Kino zu gehen, um sich Filme aus aller Welt, auch westdeutsche Filme, anzuschauen.

Die Bühne wurde nicht nur für Kino- und Theateraufführungen genutzt, sondern auch für Festlichkeiten, wie beispielsweise die Jugendweihe. Der historisch interessierte Sassnitzer Joachim Wöllner berichtet: “Hier kamen die ‘Lütten’ zur Einschulung und die ‘Großen’ wurden hier in den Kreis der Erwachsenen durch die Jugendweihe aufgenommen.” Bei der ersten Jugendweihe am 8. März 1959 hielt Erika Dunkelmann, eine beliebte Rostocker Schauspielerin, die Festrede. Sie spielte unter anderem in dem DEFA-Klassiker “Berlin – Ecke Schönhauser…” von 1957 mit.

Im Erdgeschoss gab es ein Restaurant. Viele Sassnitzer_innen ließen hier die Festlichkeiten beispielsweise der Jugendweihe ausklingen. Man traf sich hier aber auch mit der Familie, den Arbeitskolleg_innen, oder besuchte eine der zahlreichen Veranstaltungen der Künstler_innen und Ensembles.

Klubkino

Klub-Kino 1976 (c) Stadtarchiv Sassnitz / Fotograf Harro Schack

Mit der Renovierung 1975 kam noch eine weitere Attraktion hinzu: das “Klubkino in den Stubnitz-Lichtspielen”. Wie in der DDR üblich, wurden solche Einrichtungen mit Hilfe der Bevölkerung und den VEB vor Ort in die Wege geleitet. So gestaltete das Fischkombinat den Holztresen und -ausschank. (Mehr zum Fischkombinat hier) Und die Bevölkerung packte mit an. In diesem kleinen Kinosaal fanden 40 Besucher_innen auf Drehsesseln um einen Tisch herum Platz. Ein großes 500-Liter Aquarium schmückte den Raum. Joachim Wöllner schreibt in seinem Memorandum zum Stubnitz-Kino: “Während der Filmvorführung konnten die Gäste Kaffee, Wein, Sekt oder Spirituosen einnehmen und auf Vorbestellung wurden sogar kalte Platten gereicht. Diese Versorgung übernahm das Mitropa Rügen-Hotel, mit dem ein entsprechender Vertrag abgeschlossen wurde. Im Gegenzug ermöglichte die Einrichtung die Betreuung von Gästen des Hotels.” (Siehe mehr zum Mitropa Rügen-Hotel hier)

 

Nach der DDR

Lichtspieltheater Stubnitz im November 2013 (c) Stadtarchiv Sassnitz

Ende der 1980er Jahre wurde das Kino noch einmal grundlegend saniert und auf den neuesten Stand der Vorführtechnik gebracht. 1992 wurde das Kino aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen und wegen ungeklärter Eigentumsverhältnisse nach über dreißigjähriger erfolgreicher Nutzung geschlossen. Eine Zeit lang fungierte das ehemalige Kulturzentrum noch als Jugendtreff, Pub und Disco. Schließlich wurde das Haus 2012 versteigert und steht seitdem leer.

Das ehemalige Kino Stubnitz-Lichtspiele steht unter Denkmalschutz, da es ein charakteristisches Beispiel für die Bauten der 1950er Jahre in der DDR ist. Das Gebäude ist dringend sanierungsbedürftig. Nur der Schriftzug an der Außenwand erinnert noch an die ehemalige Nutzung der 2.000 qm großen Fläche.


Adresse: Stubnitz Kino Stralsunder Straße 43, 18546 Sassnitz

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