Dem Himmel so nah, dem Abriss noch näher

Hyparschalen – wie Spritzbeton und Schalendächer zur Prestige-Architektur der DDR wurden.

Magdeburg besitzt eines der Meisterwerke der DDR-Bauingenieurskunst – die Hyparschale. Gebaut wurde die Mehrzweckhalle, die im Volksmund auch Schlapphut-Dach genannt wird, 1969 vom DDR-Ingenieur Ulrich Müther. Das Besondere: die Messehalle kommt ohne Stützpfeiler in der Mitte aus. Einzigartig und himmelstürmerisch leicht wirkt sie auf uns, aber die filigrane Konstruktion hat ihre Tücken. Sie verfügt über keine zeitgemäße Wärmedämmung, deshalb rostet sie seit zwanzig Jahren still vor sich hin.

Nie sah Beton so leicht aus

Das Rote Horn

Der Name des Parks geht der Sage nach auf das zurückgelassene Rote Horn der Beherrscherin der Elbe – Elwine – zurück. Ein Ritter verliebte sich in sie, brach jedoch ein Versprechen und so verschwand Elwine. Zurück blieb nur das Rote Horn. Der Ritter Willfried lebte seitdem auf der Insel, nach seinem Tod entsprang dort eine salzige Quelle.

Läuft man am berühmten Magdeburger Dom vorbei, die Stufen hinunter zum Elbufer, erkennt man auf der gegenüberliegenden Elbseite die Hyparschale. Im direkten Sichtkontakt steht sie eingekeilt zwischen dem martialisch anmutenden roten Klinkerbau der Stadthalle Magdeburg und dem Landesfunkhaus des MDR. Diese Uferseite heißt Elbinsel Werder. Man kann sie über Fußgänger- und Autobrücken erreichen. Sie ist ein beliebtes Ausflugsziel der Magdeburger, hier geht man spazieren, joggen oder skatet am Promenadenweg. Hinter der Hyparschale befindet sich der Rotehornpark, der mit 200 Hektar größte Stadtpark Magdeburgs.

Müther, der DDR-Star-Ingenieur

Hyparschalenbau

Für die Entstehung von Betonschalen benötigt man eine Schalung, auf der der flüssige Beton aushärten kann, bevor er fest wird. Schalenbauwerke sind heute nicht technisch, sondern lediglich ökonomisch überholt. Das Aufbringen des Betons auf eine stark geneigte Oberfläche ist naturgemäß nicht leicht. Zu flüssiger Beton rutscht ab, zu fester Beton hat viele Lufteinschlüsse und damit verringerte Tragfähigkeit. Deshalb setzte Müther Spritzbeton ein. Die Technik ist fast selbsterklärend, das trockene Zement-Sand-Gemisch wird mit hohem Druck auf die Holz-Dach-Konstruktion gespritzt und zeitgleich mit der richtigen Menge an Wasser benetzt.

Ulrich Müther, Spross einer Rügener Bauunternehmerfamilie, ist der bekannteste deutsche Schalenbaumeister des letzten Jahrhunderts. Er faltete Beton wie manch anderer Servietten. Er war der DDR-Star-Ingenieur für Betonkonstruktionen. Seine schwungvollen und aufgebrochenen Gebäude sind Gegenpole zur uniformen Plattenbauweise der DDR und zugleich Vorzeigeobjekte im Ausland. Die SED-Führung schmückte sich mit ihrem Baumeister und schickte ihn um die Welt. Er baute Hyparschalen in Jordanien, Kolumbien, Kuwait und Wolfsburg und die DDR bekam wichtige Devisen dafür. Mit der Fertigstellung des Planetariums in Wolfsburg, der Hochburg der westdeutschen Automobilindustrie, war der absolute Clou erreicht, die DDR erhielt 10.000 VW Golfs im Austausch.

Auch beim Wahrzeichen Ost-Berlins hatte Müther als Ingenieur seine Finger mit im Spiel: Der faltenförmige Fußumbau des Berliner Fernsehturms geht auf sein Wissen und seine Beratung zurück. Weltweit gibt es noch circa 50 Hyparschalen von Müther anzuschauen. Die meisten stehen in Mecklenburg-Vorpommern. Zu seinem Repertoire gehören Gaststätten, Pavillons, Sporthallen, Kirchen oder die sehr bekannten “Ufo”-Rettungstürme auf Rügen am Strand von Binz.

Dem Himmel so nah, dem Abriss noch näher

Müthers Hyparschale in Magdeburg © Bundesarchiv, Bild 183-Ho929-0018-001 / Fotograf: Steffen Ritter (1969)

Schon während seines Studiums in den 1950er Jahren beschäftigte sich Ulrich Müther ausgiebig mit doppelt gekrümmten Hyparschalenkonstruktionen und deren Umsetzung durch Spritzbeton. Die Stahlbetondecke der Hyparschale ist selbsttragend und erinnert in ihrer Form an einen Sattel. Dank der Außenträger kann die komplette Fassade aus Glas gestaltet werden und so fällt, zusammen mit den Fensterstreifen in der Decke, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang Tageslicht in den Innenraum.

Der Innenraum der Messehalle in Magdeburg wurde zu DDR-Zeiten so unterschiedlich und im Wochentakt bespielt, dass die Halle beliebter Treffpunkt und Ausflugsort war. Bis 1989 fand hier alljährlich der Magdeburger Weihnachtsbasar statt, mit Waren, die es in der DDR nur sehr selten zu kaufen gab. In der Hyparschale produzierte das DDR-Fernsehen mehrfach die Jugendserie “rund”. Legendär war auch der Unifasching, organisiert vom Magdeburger Karnevalsklub. Am Wochenende wechselten sich Kultur- und Tanzveranstaltungen ab. Betriebe mieteten die Messehalle für ihre Feiern. Jugendliche pilgerten zu der „Messe der Meister von Morgen“, dem Ost-Pendant zu “Jugend forscht”.

Mit dem politischen Wandel 1989 änderten sich die Nutzungsanforderungen an die Halle, die seit diesem Zeitpunkt mehr oder weniger leer steht. Ein Bauzaun umrundet sie seit 1997, das Betreten der Halle ist verboten. Zwar hat die Dachkonstruktion, die an einen japanischen Papierkranich erinnert, nichts an Substanz eingebüßt, aber die Fenster, die Stahlträger und die Architektur unter den Betonschalen zerbröckeln seitdem. Schalenbauwerke sehen zwar schön aus, sind aber ökonomisch überholt. Eine Antwort auf eine nachhaltige Renovierung ist noch nicht in Sicht. In der Stadt formiert sich zunehmend Widerstand gegen einen Abriss sowie gegen eine andauernde Nichtnutzung. Bürgerinitiativen wollen die Stadt dazu bewegen, das Dach aus Eigenmitteln zu sanieren. Investoren würden sich dann finden, doch die Kosten für das Dach schrecken mögliche Unternehmer_innen ab.

Die Chancen für den Erhalt der Hyparschale stehen seit 2017 nicht schlecht. Überparteilich hat sich die Mehrheit des Stadtrates für eine Sanierung ausgesprochen und diese auch beschlossen.


Adresse: Hyparschale Heinrich-Heine-Weg, 39114 Magdeburg

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