Plattenbau par excellence: Neulobeda

Zwischen den Bergen im Süden Jenas wurde in kurzer Zeit ein neuer Stadtteil aus dem Boden gestampft. Direkt an der Autobahn liegend sollte Neulobeda vor allem den Arbeiter_innen des Carl-Zeiss-Kombinates als Zuhause dienen.

Lobeda wurde 1946 in die Stadt Jena eingemeindet. Südwestlich davon entstanden zwischen 1966 und 1986 die Plattenbausiedlungen Neulobeda-West und Neulobeda-Ost. In der Tagespresse wurden für den neu entstehenden Stadtteil verschiedene Bezeichnungen verwendet. Es war unter anderem von “Lobeda II”, “Südvorstadt” oder “Neubaugebiet Lobeda” die Rede. Neulobeda setzte sich jedoch durch. Etwa sieben Kilometer vom Jenaer Zentrum entfernt, ist es heutzutage der größte Ortsteil mit über 20.000 Einwohner_innen.

VEB Carl Zeiss braucht Wohnungen

Da der Volkseigene Betrieb (VEB) Carl Zeiss in der ganzen DDR um Mitarbeiter_innen warb, musste auch entsprechender Wohnraum geschaffen werden. Die Miete betrug 3% des jeweiligen Gehalts. Zu damaligen Zeiten war die sogenannte Neubauwohnung mit Zentralheizung, Bad und fließend warmem Wasser eine attraktive Werbemöglichkeit, um neue Mitarbeiter_innen nach Jena zu locken. Die Bauplanung sah vor, dass die Neubausiedlung ein in sich gut funktionierender Stadtteil war, mit allen wichtigen Einrichtungen wie Kaufhallen, Krippen und Kindertagesstätten, Schulen, einer Postfiliale, einer Bibliothek und vielem mehr.

Wohnungen in der DDR

Eine radikale Standardisierung des Wohnungsbaus führte Ende der 1960er Jahre zur Entwicklung des Wohnungsbausystems Typ 70 (WBS 70). Dieser Plattenbautyp wurde in der DDR ab Mitte der 1970er Jahre fast ausschließlich gebaut. Die Wohnungen waren einerseits auf dem neuesten Stand, da sie über Innen-WC, Bad und Küche verfügten, andererseits wurden sie häufig mit unzureichenden Baumaterialien errichtet und nahmen keine Rücksicht auf individuelle Ansprüche. Trotzdem waren diese Wohnungen im Gegensatz zu den maroden Altbauwohnungen in der Altstadt beliebt und deshalb auch immer rar. Manch eine_r musste jahrelang warten, um eine solche Neubauwohnung in Lobeda zugeteilt zu bekommen.

Ein Problem stellten jedoch die ineffizienten Fernwärmenetze dar. Sie heizten die Gebäude so stark auf, dass die Bewohner_innen die Fenster zur Temperaturregulierung öffnen mussten. Als die Energiepreise sich ab 1979 stark verteuerten, blieben die Mieten weiter gering. So gab es wenig Anreize, energiesparend zu wirtschaften.

Wohnungspolitik im Fokus

Mit der Machtübernahme Erich Honeckers 1971 wurde die Wohnungspolitik als zentrales soziales und politisches Problem definiert und avancierte zum Kernstück der propagierten “Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik”. Mithilfe des Wohnungsbauprogramms von 1973 sollten das Lebensniveau angehoben und das Wohnungsproblem bis 1990 gelöst werden. Auswirkungen versprach sich die SED-Führung dadurch auch auf die Geburtenrate, die in den Jahren zuvor stark gesunken war. Aus diesem Grunde wurden vor allem jungen Familien neue Wohnungen versprochen. Andere mussten auf Vorteile durch ihre Kontakte hoffen. Neuzugezogene Zeiss-Mitarbeiter_innen standen in Jena ganz oben auf der Prioritätenliste und erhielten schneller eine Wohnung.

Kulturzentrum Neulobeda-West

Neulobeda sollte mehr als ein Ort zum Schlafen werden, so öffnete schon Anfang der 1970er Jahre das Kulturzentrum in Neulobeda-West, welches unter anderem vom VEB Carl Zeiss getragen wurde. Zeiss-Mitarbeiter_innen erhielten hier täglich ihre Verpflegung in der Mensa. Und Zeissianer_innen trafen sich hier nach Feierabend, denn der Bus brachte sie alle zur gleichen Zeit von der Arbeit nach Hause.

Das Kulturzentrum war besser ausgestattet als andere Restaurants in Jena. Beispielsweise wurde an der Grillbar vor den Augen der Gäste gebrutzelt. Das zweigeschossige Gebäude verfügte über verschiedene Säle, Räume und Bars und konnte unterschiedlich genutzt werden. Es gab auch Billardtische und Tischtennis. Im Klub wurde ab 20 Uhr getanzt. Jeden Abend legte ein Musiker Schallplatten auf. Manchmal wurde auch Westmusik gespielt. Die auftretenden Bands hatten allerdings die Vorschrift, nur vierzig Prozent Westmusik zu spielen.

Alltag und Diktatur:

Singeklubs

Singeklubs entstanden in der DDR seit Mitte der 1960er Jahre im Rahmen der Singebewegung, die mit jugendgemäßen Liedern ein “sozialistisches Lebensgefühl” und eine positive Einstellung zu Staat und Gesellschaft fördern sollten.

Wirklich politische Veranstaltungen gab es im Kulturhaus nicht. Es trafen sich hier Kulturgruppen, wie Kabarett, Zirkel für Raum – und Textilgestaltung, Fotoklub und Singeklub. Zu den Kulturveranstaltungen zählten Bälle der Werktätigen, Tanzabende, Karnevalsveranstaltungen, Weihnachtsrevuen, Silvesterbälle, Jazzkonzerte, Buchlesungen, Dia-Vorträge, Skatturniere und Frühschoppen. Und sogar die Philharmonie spielte hier. Allein 1978 wurde eine viertel Million Besucher_innen bei insgesamt 1600 Veranstaltungen gezählt.

Das Kulturzentrum sollte nach der Wende nicht verkauft, sondern verpachtet werden. 1992 wurden aus wirtschaftlichen Erwägungen jedoch viele der 50 Mitarbeiter_innen entlassen und im September desselben Jahres schloss es komplett. 1998 brach ein Feuer aus und zerstörte das Gebäude teilweise, so dass das Kulturzentrum 1999 abgerissen wurde.

Lobedaner_innen bleiben

Interview mit Jürgen Dömel – Über das Wohnen in Neulobeda

Viele Menschen leben heute noch in der Plattenbausiedlung Neulobeda, weil der Stadtteil durch seine kurzen Wege und guten Anbindungen viele Vorteile bietet und im Vergleich zu anderen Stadtteilen weiterhin bezahlbar ist. “Man hat trotz der Blöcke, die einen fast erschlagen, eine Weite zu den Nachbarn. Es ist nicht so eng, wie in der Innenstadt”, erklärt ein Anwohner, der seit fast vierzig Jahren hier lebt. Alles was man an öffentlichen Einrichtungen braucht, gibt es unmittelbar vor der Haustür. Von Einkaufsmöglichkeiten, über die ärztliche Versorgung bis hin zu Verkehrsanbindungen ist alles vorhanden. In den letzten zwanzig Jahren wurde das Wohngebiet außerdem deutlich aufgewertet.


Adresse: ehemaliges Kulturzentrum Matthias-Domaschk-Straße 1 07747 Jena

Scroll Up