Das Silber des Meeres – Ein Fischerdorf wird wohlhabend

Durch die Industrialisierung der Fischerei ist aus dem kleinen Fischerdorf Sassnitz eine ganze Stadt geworden. Die Heringe wurden zum Exportschlager.

Ein Dorf wird zur Stadt

Aus dem kleinen Fischerdorf Sassnitz entwickelte sich mit den Jahrzehnten ein immer lukrativerer Ort zum Leben und Arbeiten. Der Erholungs- und Fährort wurde durch die Errichtung des Hafens und des Eisenbahnanschlusses um 1890 noch besser erreichbar. Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden prächtige Villen im Stile der Bäderarchitektur. Besucher_innen konnten in den verschiedensten Pensionen und Hotels unterkommen.

Ab Anfang der 1950er Jahre wollten jedoch immer weniger Menschen für die Arbeit auf die Insel ziehen. Denn die Versorgung, besonders mit Lebensmitteln, war hier viel schlechter, als auf dem Festland. Bis zum Ende der DDR brachten Verwandte vom Festland ihren Rügener Familienmitgliedern Lebensmittel mit. Vor allem, wenn auch mal etwas besonderes, wie beispielsweise Salami auf den Tisch kommen sollte.

Auch der Badetourismus bekam in den frühen Jahren der DDR einen Dämpfer. Mit der sogenannten Aktion Rose am 10. Februar 1953 ließ das SED-Regime die meisten Hotels und Pensionen verstaatlichen. Die Gebäude wurden als Mietwohnungen zweckentfremdet, weil durch die Industrialisierung der Fischerei Wohnraum für die vielen Arbeiter_innen gebraucht wurde.

Um die Innenstadt herum entstanden neue Plattenbausiedlungen. Sassnitz wuchs zur Stadt heran und verdreifachte seine Einwohnerzahl in 40 Jahren DDR auf knapp über 15.000. Dringend nötige Sanierungsmaßnahmen an Gebäuden, wie beispielsweise den alten Villen, öffentlichen Räumen und den wichtigen Stützmauern in der hügeligen Küstenlandschaft, wurden stark vernachlässigt.

Obwohl nach dem Mauerfall 1989/1990 viele Menschen die Stadt und die Insel Rügen verließen, da die Arbeitsplätze im Fischkombinat und in der Kreideindustrie aufgelöst oder umstrukturiert wurden, erkannten die verbliebenen knapp 10.000 Sassnitzer_innen das Potenzial ihrer Stadt. Die Stadt sanierte Schritt für Schritt die öffentlichen Plätze, die Infrastruktur und das Hafengelände. Auch die ehemaligen Neubaugebiete wurden saniert, um Etagen reduziert, oder sogar ganz abgerissen, so dass die meisten Sassnitzer_innen nun wieder in der Innenstadt wohnen.

Stadthafen und Eisenbahnfährverbindung

Blick auf den Hafen der Fischerei-Produktions-Genossenschafts (FPG) (c) Stadtarchiv Sassnitz – Harro Schack

Schon 1909 entstand die erste Eisenbahnfährverbindung zwischen Sassnitz und Trelleborg in Schweden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Fährverkehr 1948 wieder aufgenommen und die sogenannte Königslinie war über die ganze DDR-Zeit in Betrieb – wohlgemerkt für den Güterverkehr und als Transitstrecke für westeuropäische Reisende. DDR-Bürger_innen konnten die Fährverbindung in der Regel nicht zum Reisen nutzen.

Der Bau des Fährhafens im Stadtteil Mukra bescherte der Stadt den letzten industriellen Aufschwung zu DDR-Zeiten. 1986 entstand hier eine Fährverbindung ins damals sowjetische Klaipeda. Nachdem die Volksrepublik Polen von 1981 bis 1983 im Ausnahmezustand war und die Solidarność-Bewegung seit 1981 für Unruhe in der sozialistischen Führungsriege der Bruderländer von der Sowjetunion bis zu seinen zahlreichen Satellitenstaaten sorgte, sollte dies die sichere Verbindung zwischen der DDR und der UdSSR sein.

Der Stadthafen spielte außerdem eine bedeutende Rolle als Militär- und Fischereihafen. Er war bis zum Ende der DDR nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Sassnitz war für die Nationale Volksarmee (NVA) ein wichtiger strategischer Standort, schließlich war Rügen immer auch Grenzgebiet.

Fischereigenossenschaften

Im 19. Jahrhundert war es üblich, dass sich bis zu vier Fischer einen Kutter und den Tagesfang teilten. Diese Genossenschaftstruktur blieb auch in der DDR erhalten. Die Fischer konnten selbstständig wirtschaften, obwohl der Volkseigene Betrieb Fischkombinat 1949 am Hafen errichtet wurde.

Die Fischer besaßen eigene, ca. 26 Meter lange Kutter. Sie verkauften ihren Fang teilweise direkt am Hafen und teils an die Fabriken. Da sie flexibler wirtschaften und auch ins Ausland verkauften konnten, kamen sie an Devisen. Bei den Sassnitzer_innen galten die Fischer deshalb auch häufig als reiche Leute.

Fischkombinat

Zum Fischkombinat gehörte eine Flotte mit 180 Fischfang-, Verarbeitungs- und Kühltransportschiffen. Häufig arbeiteten hier eher die männlichen Bewohner von Sassnitz. Gefischt wurde vor allem Hering, aber auch Aal, Makrele und Lachs. Nicht nur in der Ostsee, sondern auch in der Nordsee und im Atlantik. Auf die hohe See durften selbstverständlich nur diejenigen Seeleute, die der Staatssicherheit im SED-Regime nicht auffällig wurden. Diese hatten einen Stempel im Seefahrtsbuch, konnten angeheuert werden und außerhalb des DDR-Gebietes fischen. Als Pfand blieben die Familien in Sassnitz zurück. So waren die Fischer häufig zwischen mehreren Tagen (wenn sie in der Ostsee fischten), mehreren Wochen (wenn es in die Nordsee ging), bis zu mehrere Monate (wenn sie im West-Atlantik fischten) unterwegs. Die harte Arbeit wurde zwar gut bezahlt, jedoch wollten die meisten jungen Männer eigentlich eine Ausbildung bei der Handelsflotte machen. Da die Versorgung der Bürger_innen aber in den vier Jahrzehnten immer ein großes Problem für die DDR darstellte, wurden viele zur Fischerei gedrängt.

Fischwerk

Altes Fischwerk (c) Stadtarchiv Sassnitz – Harro Schack

Alltag und Diktatur:

Devisen

Die DDR hatte eine nicht-konvertible Währung, das heißt, die Mark der DDR (M) war nur in der DDR gültig. Um aber in westlichen Ländern einkaufen zu können, benötigten das SED-Regime wie auch die DDR-Bürger_innen Devisen. Diese waren konvertible Währungen, wie beispielsweise die westdeutsche D-Mark (DM) oder der US-Dollar. Da vom SED-Regime jegliche Verwechslung von Mark der DDR und Deutsche Mark vermieden werden sollte, wurde in Ostdeutschland die Währung der Bundesrepublik Deutschland Valutamark (VM) oder kurz Valuta genannt.

Wenn der Fischfang des Fischkombinats im Sassnitzer Stadthafen ankam, wurde er zu großen Teilen direkt an das Fischwerk ausgeliefert. Hier arbeiteten vorwiegend Frauen. Sie nahmen die Fische aus, verarbeiteten sie (in Öl oder in Tomatensoße eingelegt, geräuchert oder gebraten), fertigten die Fischdosen an und stellten die Endprodukte für den Transport bereit. Wenn es in der Produktion mal eng wurde, es also mehr Arbeit als Arbeiter_innen gab, wurden die Frauen aus der Verwaltung hinzugezogen. Die Fischdosen wurden nicht nur innerhalb der DDR verkauft, sondern auch in die Bundesrepublik oder nach Schweden exportiert, um an Devisen zu gelangen.

In den Fischwerken arbeiteten über 2.000 Arbeiter_innen, 48 Stunden die Woche, im drei-Schichten-Betrieb. Schichtwechsel war immer um 6 Uhr morgens, 14 Uhr mittags oder 22 Uhr nachts.

Wie in allen Volkseigenen Betrieben (VEB) üblich gab es eine Mensa, so dass die Mitarbeiter_innen zu Hause nicht kochen mussten. In der Wochenkrippe (mehr zur Fischwerk-Wochenkrippe hier) konnten Kleinkinder in der Woche betreut werden, während die Eltern im Schichtbetrieb arbeiteten. An der Betriebsakademie wurden Kapitäne, Ingenieure und Techniker aus- und weitergebildet. Hinzu kam eine Bibliothek und “Empor”, der Betriebssportverband des Fischkombinates.

Fischerei- und Hafenmuseum

In den ehemaligen Funktionsgebäuden des VEB Fischkombinat am Stadthafen, im Trakt des ehemaligen medizinischen Dienstes, befindet sich heute ein Museum, das unter anderem die 40 Jahre lange Geschichte der Fischfangflotte der DDR ausstellt. Besucher_innen können dort mehr über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Fischer erfahren. Vor dem Museum, an der Kaikante, liegt der 26 Meter lange Kutter “Havel” – einer von insgesamt 50 Stahl-Fischkuttern, die zur Kombinatsflotte gehörten. Heute sind noch drei dieser Schiffe im Einsatz.

Wer noch mehr über den Alltag der Fischer zu DDR-Zeiten erfahren wollte, konnte bis 2016 an den “Sturmgesprächen” im Museum teilnehmen. Der ehemalige Zöllner und historisch interessierte Sassnitzer Joachim Wöllner organisierte 15 Jahre lang über 130 gut besuchte Treffen. Zeitzeugen wurden eingeladen, um über Themen zur Sassnitzer Fischerei und Hafengeschichte zu berichten. Diese Sturmgespräche haben eine alte Tradition: Wenn die Fischer bei Sturm nicht auslaufen konnten, trafen sie sich in der Kneipe und erzählten sich alte Seemannsgeschichten. Es wird gemunkelt, dass diese Tradition bald wieder aufgenommen wird.


Adresse: Fischwerk nun Sassnitzer Fischerei und Hafenmuseum Im Stadthafen Sassnitz, 18546 Sassnitz

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