Von Montag bis Samstag in die Fischwerk-Wochenkrippe

Von Montag bis Samstag in die Krippe? Für ein Kind in Westdeutschland war das undenkbar. In der DDR aber ganz normal. Denn: Die Arbeitskraft der Frauen war in der sozialistischen Planwirtschaft unabdingbar.

Propagierte Gleichstellung

Die Gleichstellung von Männern und Frauen wurde von den Anfängen der DDR an propagiert, und somit war die Einbindung der Frauen in die Erwerbsarbeit eine zentrale gesellschaftliche Pflicht. Vor allem der Arbeitskräftemangel führte dazu, dass viele Frauen beim (Wieder)-Aufbau der Städte, in der Produktion oder als Bäuerinnen gebraucht wurden. Gleichzeitig erforderten die niedrigen Durchschnittsgehälter seit den 1960er Jahren die Mitarbeit eines Großteils der Ehefrauen für die Versorgung der Familie. Dies alles hatte zur Folge, dass auch der Ausbau von Krippen und Kindertagesstätten vorangetrieben werden musste.

Gleichberechtigt vor dem Gesetz

In der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 in Artikel 7 hieß es: “Mann und Frau sind gleichberechtigt. Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben.” Im Laufe der Jahrzehnte wurde der Anteil der berufstätigen Frauen kontinuierlich gesteigert, sodass 1986 über 90 Prozent im arbeitsfähigen Alter zwischen 15 und 60 Jahren erwerbstätig waren. Frauenspezifische Schutzrechte dienten seit den 1950er Jahren dazu, den berufstätigen Müttern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern, sollten aber gleichzeitig auch der steigenden Tendenz zur Teilzeitarbeit entgegenwirken.

Da die Appelle an die männliche Bevölkerung, sich an der Hausarbeit und Kinderbetreuung zu beteiligen, kaum Gehör fanden, mussten die Frauen die Mehrfachbelastung von Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit bewältigen. Schwierigkeiten und Konflikte innerhalb der Familie werteten viele Frauen eher als Ausdruck persönlichen Versagens, statt als ein strukturelles Problem. In der Folge nahm die Teilzeitbeschäftigung fortlaufend zu, die Scheidungsrate in der DDR war eine der höchsten weltweit, und die Geburtenrate ging dramatisch zurück. So wurde der Abstand zwischen dem sozialistischen Leitbild und der Wirklichkeit immer größer.

Als die Geburtenraten weiter sanken, wurden Mitte der 1970er Jahre neue sozialpolitische Gesetze verabschiedet. Dass sich diese hauptsächlich an verheiratete Frauen und Mütter richteten, macht besonders deutlich, in welchem Umfang diese auch weiterhin für Kinder und Haushalt zuständig waren. Die neuen sozialpolitischen Maßnahmen boten berufstätigen Müttern ein bezahltes Babyjahr, bezahlte Freistellungstage bei Krankheit des Kindes, Arbeitszeitverkürzungen und Qualifizierungsmöglichkeiten. Hinzu kamen günstige Kredite und die bevorzugte Zuteilung von Wohnungen an junge Familien. Diese paternalistische Frauen- und Familienpolitik stand nie ernsthaft zur Diskussion und blieb bis 1989/1990 bestehen.

Wochenkrippen

Literaturhinweis

Ute Bendt: Wochenkrippen und Kinderwochenheime in der DDR. In: Handbuch für Erzieherinnen. OLZOG Verlag (Ausgabe 65).

Karsten Laudien, Anke Dreier-Horning: Jugendhilfe und Heimerziehung im Sozialismus. Beiträge zur Aufarbeitung der Sozialpädagogik in der DDR. Berlin 2016

Link zum Beitrag Wochenkrippe vom Deutschlandfunk Kultur

Link zum Dossier Bildung von der Bundeszentrale für politische Bildung

Damit auch Frauen, die beispielsweise in der Schichtarbeit tätig waren, ihre Kinder versorgt wussten, wurden zusätzlich zu den Tageskrippen und Kindertagesstätten auch Wochenkrippen eingeführt. Diese Betreuung galt Säuglingen von sechs Wochen bis zu Kleinkindern im Alter von drei Jahren. Mitte der 1960er Jahre wurden laut DDR-Statistik fast 38.000 Kinder so betreut. Am Montag konnten die Kinder um 5 Uhr morgens abgegeben und am Samstag um 13 Uhr abgeholt werden. Es gab auch Möglichkeiten die Kinder zwischendurch abzuholen. Einen Zugang zu den Räumlichkeiten der Wochenkrippe hatten Eltern meistens nicht. Sie gaben ihre Kinder an der Eingangstür ab, ohne persönliche Kleidung, Kuscheltiere oder andere Gegenstände.

Kinderkrippe (c) Bundesarchiv, Bild 183-29781-0018 / Fotograf Klein (1955)

Die Erzieherinnen kümmerten sich um jeweils mehrere Kinder gleichzeitig. Die Arbeitsbelastung war enorm, die Erzieherinnen arbeiteten im Schichtbetrieb. Individuelle Bedürfnisse der einzelnen Kinder mussten hinten angestellt werden, eine feste Bindung zu einer bestimmten Person konnten die Kleinkinder somit selten aufbauen.

Die Eltern wurden angehalten den Schlaf- und Essensrhythmus der Wochenkrippe auch am Wochenende aufrecht zu erhalten, damit den Kindern der Wechsel leichter fiel.

Die einen sahen diese Wochenkrippen als Emanzipation und Entlastung der Frauen an, die anderen sahen sich unter Druck gesetzt, diese Wochenkrippen in Anspruch zu nehmen, da sie als alleinerziehende Mütter oder als junge Frauen in der Ausbildung standen und den Lebensunterhalt erarbeiteten mussten. Viele Mütter haben stark unter dieser Trennung gelitten, doch zweifelten sie selten das System an, stattdessen dachten sie, dass etwas mit ihnen nicht stimmte, wenn sie seelische Schwierigkeiten mit der externen Betreuung ihrer Säuglinge hatten.

In den späten Jahren der DDR wurden die Wochenkrippen weniger, da sich innerhalb der Ärzteschaft und des Gesundheitswesens mehr und mehr Personen dagegen aussprachen, Kinder von wechselnden Erzieherinnen großziehen zu lassen, statt von mindestens einer engen Bezugsperson. Die fehlende Bindung an eine Bezugsperson zeigten in Studien deutliche Nachteile in der Entwicklung der Kinder auf. Doch viele dieser kritischen Untersuchungen, die teilweise bereits kurz nach der Einführung und u.a. von der Ärztin Eva Schmidt-Kolmer durchgeführt wurden, hielt man unter Verschluss. Die Ergebnisse passten nicht zu der Erreichung des Ziels eines sozialistischen Staates.

Viele ehemalige Krippenkinder sprechen noch heute davon, dass die Beziehungen zu ihren Eltern nicht existent oder sehr stark angespannt seien und sich diese häufig nur mit psychologischer Hilfe verändern ließen.

Die Fischwerk-Krippe in Sassnitz

Die ehemalige Fischwerk-Wochenkrippe in Sassnitz (c) Regina Schulze
Die ehemalige Fischwerk-Wochenkrippe in Sassnitz (c) Regina Schulze

In Sassnitz auf der Insel Rügen gab es zwei Krippen, eine davon die betriebseigene Wochenkrippe des VEB Fischwerk Sassnitz, genannt “Fischwerk-Krippe”. Die Frauen und Männer arbeiteten im Schichtbetrieb von Montag bis Samstag und hatten eine 48-Stunden-Woche. Mehr zur Fischerei und dem Fischwerk in Sassnitz hier.

Auch die Erzieherinnen arbeiteten im Schichtbetrieb. Die Frühschicht begann um 5 Uhr morgens und ging bis 14 Uhr, die Spätschicht von 14 Uhr bis 22 Uhr. In der Nacht wurden die Kinder – sofern nötig – von zwei Nachtschwestern betreut.
Der Tagesablauf war strukturiert durch Essenszeiten (Frühstück, Mittagessen, Vesper und Abendessen) und den darauf folgenden Töpfchenrunden und Toilettengängen. Dazwischen wurde gespielt, drinnen wie draußen, gesungen und vorgelesen. Die Kinder feierten mit den Erzieherinnen Feste wie bspw. Fasching, Ostern, Tag der Republik und Weihnachten sowie die Kindergeburtstage.

In der Wochenkrippe gab es vier Gruppen mit je 12 Kindern, zwei Erzieherinnen und einer Halbtagskraft. Hinzu kamen die Kinder der Tageskrippe, so dass ca. 80 – 100 Kinder in der Einrichtung betreut wurden. Die Eltern der Wochenkrippe-Kinder hatten jederzeit die Möglichkeit ihre Kinder für einige Stunden, bspw. am Nachmittag nach ihrer Schicht zu sich zu holen und sie zum Abendessen wieder zurückzubringen. Am Samstag wurden die Kinder nach dem Mittagessen frischgemacht und von den Eltern herausgeputzt, mit geschnittenen Nägeln und Haaren überreicht.


Adresse: Fischwerk-Wochenkrippe Straße der Jugend 14, 18546 Sassnitz

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