Im Sonntags-Club in der Greifenhagener Straße 28 treffen sich Schwule, Lesben, Bisexuelle, Trans* und Inter* seit 1999. Doch bis zu diesem offenen Begegnungsort, war es ein langer Weg.
Unerfüllte Wünsche
Alltag und Diktatur:
§ 175
Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde der §175 von 1935 übernommen. Insgesamt wurden etwa 140.000 Männer nach den verschiedenen Fassungen des §175 in der Bundesrepublik verurteilt. Die DDR übernahm dagegen die Fassung von vor 1935, in der nicht alle homosexuellen Handlungen unter Strafe gestellt wurden. Jedoch stand vor allem die Verführung von Jugendlichen und die mann-männliche Prostitution unter Strafe. 1968 wurde unter Hilde Benjamin der § 175 gelöscht und der neue §151 erschaffen. Dieser konzentrierte sich auf die Bestrafung von homosexuellen Handlungen von Erwachsenen mit Jugendlichen, sodass Handlungen unter Erwachsenen nicht mehr verfolgt wurden. Die Volkskammer beschloss den §151 zum 1. Juli 1989 zu streichen. Mit der Wiedervereinigung übernahmen die neuen Bundesländer das Strafgesetzbuch der Bundesrepublik. Da der §175 auch in Westdeutschland seit den 1960er Jahren wenig angewandt wurde, und da die neuen Staatsbürger_innen keine juristischen Nachteile erfahren sollten, wurde der §175 schließlich am 11. Juni 1994 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.
Der berüchtigte §175, der die Strafverfolgung von Homosexuellen ermöglichte, wurde in der DDR 1968 abgeschafft und durch den abgemilderten § 151 ersetzt und schließlich 1988 ersatzlos gestrichen. Die Verfolgung von Homosexuellen stand nicht sehr stark im Fokus der Arbeit der Volkspolizei. Trotzdem wurde die Gründung der Homosexuellen Interessengemeinschaft Berlin (HIB) seit den 1970er Jahren nicht erlaubt. Auch der Wunsch nach einer Beratungsstelle für Selbsthilfegruppen wurde abgelehnt. Die Verantwortlichen des Hauses der Gesundheit sahen 1975 keinen Grund dafür, ein offizielles Beratungs- und Kommunikationszentrum zu ermöglichen, da die “Homosexuellen die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten” besäßen und es keiner speziellen Behandlung bedarf.
Gleichgesinnte finden sich
Einige Homosexuelle gründeten kurzerhand eine eigene Selbsthilfegruppe, nachdem sie den Film “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt” von Rosa von Praunheim 1973 im Westfernsehen gesehen hatten. Bei einer Veranstaltung zur Homosexualität an der Humboldt-Universität trafen sie auf Charlotte von Mahlsdorf (geboren als Lothar Berfelde). In ihr fanden sie eine große Unterstützerin ihres Unterfangens. Sie bot ihnen Kellerräume im Gründerzeitmuseum Mahlsdorf an, in denen sich Gleichgesinnte treffen und sich in Selbsthilfegruppen beraten konnten.
Sonntags auf der Suche nach einem Ort
1978 wurden jedoch die beratenden, politischen, kulturellen und informierenden Treffen in Mahlsdorf untersagt. Eine Veranstaltung von lesbischen Frauen aus der gesamten DDR wurde kurzfristig von der Volkspolizei verboten.
So waren die Mitglieder darauf angewiesen, den Standort immer wieder zu wechseln. Einzig der Tag stand fest: Sonntags. Sonntags hatten nämlich die meisten Klub-Räume und Kneipen keine festen Veranstaltungen.
Literaturhinweis
Sonntags-Club (Hrsg.): Verzaubert in Nord-Ost. Die Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee. Berlin 2009.
Viele Kneipenwirte im Stadtteil Prenzlauer Berg hatten nichts gegen die zahlenden homosexuellen Gäste, sodass viele Gaststätten als “Schwulenkneipen” bekannt wurden. Besonders beliebt waren die Kneipen “Burgfrieden” (Wichertstraße 69) und “Schoppenstube” (Schönhauser Allee 44), die es beide heutzutage nicht mehr gibt. Auch das Cafe “Ecke Schönhauser” (Kastanienallee 2) und das Cafe “Prenzlau” (Prenzlauer Allee 26) waren beliebte Treffpunkte. So sprach die Szene von ihrem Bermuda-Dreieck.
Fotos für die Stasi
Die Sorge, von der Staatssicherheit beobachtet zu werden, war groß. Die Mitglieder verständigten sich deshalb darauf nur Personen zu Veranstaltungen mitzunehmen, die sie lange kannten und für die sie ihre “Hand ins Feuer legen konnten”.
Michael Unger, Mitbegründer der HIB, spricht da aus eigener Erfahrung. Ein Freund, den er regelmäßig mit zu den Sonntagstreffen nahm, machte Fotos von den HIB-Veranstaltungen für die Mitglieder und zugleich auch Abzüge für die Stasi, wie sich nach dem Ende der DDR herausstellte.
Für die Staatssicherheit schien dabei nicht die Homosexualität an sich das Problem zu sein, sondern, dass sich außerhalb der staatlichen Fürsorge eine Gruppe bildete, die ihren Anspruch auf Alleinherrschaft untergrub.
Geht doch
Filmhinweis
“Coming Out” von Heiner Carow – Legendär ist der Film nicht nur, weil seine Premiere auf den 9. November 1989 fiel, sondern weil es der erste und letzte Schwulenfilm der DDR war. Dieser Film ermöglicht u.a. einen Blick auf den Alltag von Homosexuellen in der DDR. Wichtige Themen, wie die Gewalt gegen Schwule, die Reaktionen von Eltern, aber auch der (Kneipen)-Alltag werden aufgezeigt. Zwar ist es kein Dokumentarfilm, doch viele Statisten, die in der Kneipe Burgfrieden zu sehen sind, waren tatsächlich auch Gäste dieser Schwulenkneipe.
Neben dem Versteckspiel und der ständigen Angst vor Überwachung, gab es aber auch positive Erlebnisse: Als Michael Unger und sein damaliger Freund auf Wohnungssuche waren und sich beim Wohnungsamt registrierten, wurden die beiden – ganz unbürokratisch – als “kinderloses Ehepaar” eingestuft und erhielten tatsächlich eine Wohnung.
Auch dem jahrelangen Wunsch, Kontaktanzeigen von Homosexuellen in Zeitungen zu erlauben, wurde Mitte der 1980er Jahre zögerlich nachgegeben. Die Anzeigen blieben trotzdem größtenteils eher getarnt, in dem man zum Beispiel den § 175 als Code in das Zeitungsinserat einbaute: “Mann, 175 cm groß, …” oder “am 17.5. geboren, sucht…”.
Aus der Homosexuellen Interessengemeinschaft Berlin ist 1990 der eingetragene Verein Sonntags-Club e.V. entstanden. Ihre Bleibe hat der Verein seitdem in einer ehemaligen Bibliothek in der Greifenhagener Straße 28 im Prenzlauer Berg.
Adresse: Sonntags-Club Greifenhagener Straße 28, 10437 Berlin