Mein Ort*: Reise in die Radio-Vergangenheit – Das Funkhaus in der Nalepastraße

Von der „Stimme der DDR“ zum größten Musik-Produktionszentrum Deutschlands: Das Funkhaus Nalepastraße, einst Sitz des Rundfunks der DDR, hat seit zwei Jahren einen neuen Eigentümer und wird schrittweise zu einem modernen Zentrum für Musikproduktion umgebaut

Von Dirk Engelhardt

Von der Köpenicker Chaussee im Südosten Berlins fährt man in die rumpelige Nalepastraße ein und fühlt sich an längst vergangene Zeiten erinnert, die mittlerweile 28 Jahre her sind. Hier hatte der Rundfunk der DDR seinen Sitz, in einer Anlage von immensen Ausmaßen, insgesamt sind es 13 Hektar. Die Schrift „Deutscher Demokratischer Rundfunk“ auf dem Dach, die Ost-Berliner noch gut kennen, ist mittlerweile verschwunden.
Die Pförtnerloge am Eingang der Anlage ist ebenfalls nicht mehr besetzt, der Zutritt zum Gelände am Spreeufer ist für jedermann frei. Auf der anderen Seite der Spree liegt der Spreepark, der ja demnächst auch seine Wiederauferstehung feiern soll.
Im Funkhaus, das wird gleich beim Betreten der Lobby klar, hat sich seit DDR-Zeiten praktisch nichts verändert. Man läuft über zusammengestückeltes Linoleum in verschiedenen Brauntönen, dem immer noch jener modrige Geruch des real existierenden Sozialismus anhaftet.
Im Zimmer der Intendanz, das eventuell bald als kleines Museum fungieren soll, kündet das Farbportrait Erich Honeckers davon, wer hier einmal das Sagen hatte. Sogar ein alter Sendeplan, fein säuberlich mit Bleistift geschrieben, hängt noch an der Wand. Hinter einer Schranktür verbirgt sich ein Waschbecken, eine andere Schranktür führt zu einer Bar, die allerdings leergeräumt ist. In den Regalen stehen verstaubte Radioapparate, auch eine komplette Sammlung von Stalin-Büchern wartet auf Leser.

Das Funkhaus in der Nalepastrasse (c) Dirk Engelhardt
Das Funkhaus in der Nalepastrasse (c) Dirk Engelhardt

Vor zwei Jahren hat der Unternehmer Uwe Fabich die gesamte Anlage gekauft, in den Medien wird ein Betrag von rund 12 Millionen Euro genannt. Fabich gehören auch der Postbahnhof in Friedrichshain, die Erdmann-Höfe in Kreuzberg und der Wasserturm am Ostkreuz. Die gesamte Anlage steht unter Denkmalschutz, und so bleibt Fabich nichts anderes übrig, als behutsam Raum für Raum zu sanieren. Der erste Stock des Haupthauses ist bereits entkernt, hier entsteht ein Creative Coworking Space mit einem Musik-Inkubator. „Weil die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln relativ schlecht ist, haben wir einen Busshuttle ab Ostkreuz organisiert. Dazu noch zwei ehemalige DDR-Patrouillenboote, die als Fähre dienen“, erzählt Fabich, denn eine Brücke über die Spree gibt es erst ein gutes Stück weiter südlich. Die bildende Künstlerin Sibylle Jazra (möchte keine Altersangabe machen) hat seit sieben Jahren ein 45 Quadratmeter großes Atelier im Hauptgebäude angemietet. „Ich bin sehr zufrieden damit, auch wenn es in den letzten Jahren hier große Veränderungen gab, sowohl im positiven als auch im negativen“, sagt sie. Das Netzwerk im Haus sei aber sehr hoch zu bewerten, „und vor kurzem habe ich mich an einer großen Ausstellung hier im Haus beteiligt, das war klasse.“ Jazra arbeitet mit kulturellen Überresten, die sie über die Verbindung verschiedenster Elemente in Form von konstruktiven Dissonanzen künstlerisch neu ordnet. Ihrer Zukunft im Haus sieht sie zuversichtlich entgegen.
Produzent und Songschreiber Nicolas Rebscher (35), der für Budde Music arbeitet, ist schon seit über vier Jahren im Funkhaus. „Es ist schon eine super Lage hier, direkt am Wasser, vor allem um kreativ zu sein“, sagt Rebscher. Er mietet mit einem Freund zusammen ein 60m2 grosses Studio, seine Zukunft als Mieter sieht er entspannt.
Die Gebäudesubstanz der Anlage ist immer noch gut, denn zur Bauzeit Anfang der 50er Jahre verwendete man hier nur erstklassige Materialien. Unter anderem bediente man sich mit Marmorplatten aus der Neuen Reichskanzlei. Das Dach der ehemaligen Fuhrparkhalle ist schon saniert, die riesige Halle nutzt Fabich als Veranstaltungsort. Die Berlin Fashion Week und Apple waren nur einige der Großkunden der letzten Zeit. In diesen Tagen bezieht auch dbs music, die Ausbildung im Bereich elektronischer Musik anbietet, Räume im Funkhaus. Mieter dieser Art sind es, die Fabich favorisiert. Er nimmt aber auf die angestammten Mieter Rücksicht. „Die Mietverträge der vielen alten Mieter, die Studios im Hauptgebäude haben, werden wir auf mittlere Sicht bestehen lassen“, sagt Fabich.

Ein Haus mit Geschichte

Die Orgel im Funkhaus in der Nalepastrasse (c) Dirk Engelhardt
Die Orgel im Funkhaus in der Nalepastrasse (c) Dirk Engelhardt

Anfang der 50er Jahre waren die Ost-Berliner Sender im Haus des Rundfunks an der Masurenallee im westlichen Charlottenburg untergebracht. Die russische Militärregierung drängte damals jedoch bald auf eigene Örtlichkeiten. Architekt des Hauses an der Nalepastraße war Bauhausschüler Franz Ehrlich. Ehrlich plante höchst elegant: Geschwungene Treppen haben Marmorstufen, in den Hallen liegt Parkett, und überall sieht man edle Wandvertäfelungen aus dunklem Holz. Sogar der Vorläufer eines Pager-Systems, den man damals entwickelte, lässt sich noch erkennen.

Die Uhren im Funkhaus in der Nalepastrasse (c) Dirk Engelhardt
Die Uhren im Funkhaus in der Nalepastrasse (c) Dirk Engelhardt

Auf den Fluren und in jedem Studio hängt eine Uhr, unter der fünf Zifferblätter angebracht sind. Jeder Techniker hatte einen eigenen Code. Wenn dieser aufleuchtete, bedeutete dass, dass der Techniker sich per Haustelefon in der Zentrale melden sollte.
Matthias Hopke arbeitete von 1977 bis 1993 als Techniker und Musikredakteur im Funkhaus, zuletzt beim Jugendsender DT64. „DT64 gelangte zur Phase des Mauerfalls zum 24-Stunden Vollprogramm und wurde dann aber drei Jahre später, trotz Hörer Fan-Aktionen und einer Petition an den Bundestag in Bonn, eingestellt“, erbost sich Hopke.
Glanzstück der Anlage sind jedoch die zwei Musik-Aufnahmesäle mit immensen Dimensionen. Sie sind errichtet in einer Haus-im-Haus Konstruktion, so dass die Wände der Säle nicht mit tragenden Außenwänden des Hauses in Berührung kommen. Sie sind dermaßen schallisoliert, dass man selbst ein Flugzeug, dass direkt über dem Haus fliegt, darin nicht hört. Hopke: „Dies war wichtig, denn die Nalepastraße lag in der Einflugschneise des Flughafens Tempelhof, der damals noch gut frequentiert war.“
Der größere Sendesaal verfügt über eine Orgel, deren dunkelbraune Pfeifen Zigarillos nachempfunden sind. Die Orgel ging aber schon kurz nach Inbetriebnahme kaputt und wurde seitdem auch nicht repariert. Beide Säle sind schalltechnisch in einem derart hohen Standard konzipiert, dass Musiker noch heute ehrfürchtig werden, wenn sie der Klangqualität gewahr werden. Unter anderem gehört dazu eine auswechselbare Wandbespannung, die sich unter der Holzverkleidung verbirgt, und die je nach Musikart ausgetauscht werden kann.

Soundqualität von Weltrang

Die Säle sind hoch attraktiv für Musikaufnahmen von Orchestern. Nicht nur Daniel Barenboim und die Staatskapelle sowie der Runkfunkchor Berlin waren da, auch Klassik-Stars aus den USA fliegen extra ein, um hier ihre CDs aufzunehmen. Die Black Eyed Peas, Sting, A-ha und Cecila Bartoli haben Alben hier produziert. Nur dass die fest eingebaute Regie nach einem Brand vor zwei Jahren nicht mehr funktioniert, wird von Producern bemängelt.
Der große „Kultursaal“ mit Bühne, der einst für Weihnachtsfeiern der Belegschaft diente, ist im Original erhalten. Er wird, wie auch andere Teile der Anlage, gerne von Filmteams für Kinoproduktionen gemietet. Auch bei Fotografen ist das Rundfunkhaus als Ort für Fotoproduktionen beliebt, denn jeder Winkel bietet hier andere Perspektiven und dekorative Hintergründe.

Milchbar (c) Dirk Engelhardt
Milchbar (c) Dirk Engelhardt

Die angestaubte Milchbar mit Blick zur Spree wieder eröffnet. Hier sorgt das Team vom Restaurant Schneeweiß dafür, dass beim Essen keine nostalgischen Gefühle aufkommen. Die nebenan liegende Kantine mit der Essensausgabe und der eindrucksvollen Kassettendecke rottet noch vor sich hin, der Chef der Milchbar überlegt, sie zu integrieren. Neben der Kantine gab es auf dem Gelände früher auch einen Kindergarten, eine Klinik, einen Frisör und einen Delikat-Exquisit-Laden, es war eine kleine Welt für sich. Sogar eine Sauna für die Radio-Mitarbeiter gab es. In den 70er Jahren arbeiteten hier immerhin rund 5000 Menschen. Die Radiosender, die von hier funkten, waren die „Stimme der DDR“, der „Berliner Rundfunk“, „Radio DDR1“, „Radio DDR2“ und der Jugendsender „DT64“. „Die „Stimme der DDR“ war eigentlich nicht für DDR-Bürger bestimmt, sondern als Kontraprogramm zum RIAS und zum SFB in Berlin“, erinnert sich Hopke. „Es war als UKW-Programm installiert, deren Sender-Antennen-Abstrahl-Ketten vorrangig an der innerdeutschen Grenze in die BRD strahlten; nichtsdestotrotz war die Stimme auch in der DDR zu empfangen.“
Der Radiobetrieb an der Nalepastraße wurde exakt bis zum 31. Dezember 1991 fortgeführt, danach übernahmen der ORB und der MDR die Radioversorgung in Ostdeutschland. Nach 1991 versuchten sich verschiedene Investoren an der Anlage unter der Vorgabe, das Rundfunkhaus kulturwirtschaftlich zu nutzen. Allerdings waren zwielichtige Gestalten darunter, die untertauchten und hohe unbezahlte Betriebskostenrechnungen hinterließen.
Die Studios im „Block B“, wie das Haus für Hörspiel- und Musikproduktion genannt wurde, sind seit Jahren an rund 200 Künstler, Musiker, Maler, Fotografen, Konzertveranstalter, Designer und Audio-Produzenten vermietet, denen Fabich zusagte, dass der Großteil der Verträge erhalten werden soll. Den ehemaligen Kammermusiksaal und den ehemaligen Saal für Tanz- und Unterhaltungsmusik beherbergen seit 20 Jahren das „Studio P4“, ein Team aus Tonmeistern und Produzenten, die hier Hörspiele, Filmmusik und CDs in hoher Qualität anfertigen. Man nutzt im wesentlichen zwei akustisch herausragende Säle mit 140 und 180 Quadratmetern Fläche, außerdem gibt es vier schallisolierte Aufnahmekabinen mit unterschiedlichen Akustiken. Der kleinere Saal ist für Aufnahmen mit einem Kammerorchester optimiert, er besticht durch seine natürliche Akustik. Die technische Ausstattung kann sich sehen lassen: sie reicht von ProTools HD-Systemen über HHB Portadrive mit Ambient A-Ray bis zu einer Mikrofonauswahl verschiedener Hersteller. Deutschlandradio Kultur ließ hier schon eine Reihe von Hörspielen produzieren.

Akustische Optimierung

Sieben Meter Raumhöhe im Funkhaus in der Nalepastrasse (c) Dirk Engelhardt
Über sieben Meter Raumhöhe im Funkhaus in der Nalepastrasse (c) Dirk Engelhardt

Seit 2012 hat sich Producer und Tonmeister Yensin Jahn die Räume der ehemaligen Hörspielproduktion H1 für seine Produktionsfirma Funkhaus Studio gemietet. Jahn ist begeistert von der Qualität der Räume: „Die Studios wurden damals alle aus organischem Material gebaut und sind weitgehend in originalem Zustand erhalten.“ Schon damals gab es ein Luftbefeuchtungssystem, welches die Luftfeuchtigkeit konstant auf 70% hielt, ebenso wie ein Klimasystem. Im „Treppenhaussaal“ nimmt die Hälfte der Fläche eine riesige Treppe ein, die mit verschiedenen Bodenbelägen ausgestattet ist. Extra angefertigt, um das Geräusch von Treppenschritten für Hörspiele aufzunehmen. Das Studio nebenan, ein reflektionsarmer Raum mit dicken Baumwollpolsterungen, die hinter einem ziselierten Holzstabgeflecht versteckt sind, verfügt über verschiedene Untergründe wie Schotter, Kies, Sand oder Pflasterstein – in den 50er Jahren gab es für die Hörspielproduktion schließlich noch keine digital erzeugten Geräusche. „Sogar die Schallschleusen zwischen den Studios sind akustisch optimiert“, erläutert Jahn. Damals war man darauf bedacht, jeden Quadratmeter zu nutzen.

Links:

Dirk Engelhardt: Berlin, wo es die DDR noch gibt. Via Reise Verlag

www.funkhaus-studio.de

www.funkhaus-berlin.net

Führungen durch das Funkhaus: www.ddr-funkhaustour.de

Tour zu einer Auswahl von Engelhardts Orten hier.

Jahn vermietet die Studios zum Teil an andere Produzenten, zum Teil nutzen er und sein siebenköpfiges Team sie selbst. Und sie sind gut gebucht: Max Herre, Mark Forster, Til Brönner, Seeed, Emigrate, Philipp Dittberner und Joris sind nur einige Namen, die im „H1“ Studio – das übrigens eine Deckenhöhe von 7,5 Meter aufweist – schon aufgenommen haben. „Die Spezialisten von damals haben hervorragende Arbeit geleistet“, das betont Jahn nochmals. Wer die Akustik persönlich testen will, sollte sich eines der Konzerte vormerken, die regelmäßig im Sendesaal laufen. Für 27,4 Euro kann man demnächst Ben Frost, Actress und Jan Jelinek im DDR-Ambiente hören.

 

Dirk Engelhardt berichtete von seinem Alltagsort in der DDR.

*Alltag Ost ist ein Projekt der KOOPERATIVE BERLIN. Beiträge von externen Leser_innen und Nutzer_innen der Webseite sind gekennzeichnet als “Mein Ort”. Für die Inhalte sind die Autor_innen zuständig. Die KOOPERATIVE BERLIN nimmt nur formale Anpassungen vor.

 

Adresse: Funkhaus Nalepastrasse 10-15, 12459 Berlin-Oberschönweide

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