In der Glühlampe brennt noch Licht

In der Kneipe “Zur Glühlampe” brennt noch Licht. Im Rest des Viertels sind die Lichter schon vor Jahren ausgeknipst worden. Die Kneipe ist der letzte Zeuge längst vergangener Zeiten.

Aufbau von Werk und Wohngebiet

1906 wurde das Glühlampenwerk in Berlin gegründet, welches 1919 in Osram umbenannt wurde. Die Gebäude des gewaltigen Firmenkomplex an der Warschauer Brücke  umfassten neben den Werkhallen auch ein Hochhaus, welches heute noch in der Rotherstraße 11 steht.

VEB Narva Kombinat Berliner Glühlampenwerk, Roswitha Kutzner. © Bundesarchiv, Bild-183-K0604-0001-005 / Zentralbild-Franke-4.6.1971.
VEB Narva Kombinat Berliner Glühlampenwerk, Roswitha Kutzner. © Bundesarchiv, Bild-183-K0604-0001-005 / Zentralbild-Franke-4.6.1971.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lag das Osram-Werk beinahe vollständig in Trümmern. Produktions- und Verkehrsanlagen, die nicht zerstört wurden, wurden demontiert und als Reparationszahlungen in die Sowjetunion gebracht. Nicht nur das Werk, sondern auch das umliegende Wohngebiet waren zerstört worden.

Die Identität vieler Bewohner_innen, die um das Berliner Glühlampenwerk (BGW) herum wohnten, ist seither eng mit dem Wiederaufbau seit 1946 verbunden. Viele der Frauen, die hier als Trümmerfrauen maßgeblich am Wiederaufbau des Geländes beteiligt waren, ließen sich später im Werk ausbilden, als Diamantbohrerinnen, oder Meistergehilfinnen in der Rohrlegerwerkstatt. Das Werk wurde 1969 ein letztes Mal in VEB Narva-Kombinat Rosa Luxemburg umbenannt.

Arbeiterdynastien und zweites Zuhause

Filmhinweis

“…und deine Liebe auch” (1962). Es ist ein Gegenwartsfilm und der erste Mauerfilm der DEFA. Paul Wiens (Autor) / Frank Vogel (Regisseur).
Der Film spielt am 12. und 13. August 1961 und hält das Alltagsleben in und um das Glühlampenwerk dieser Tage fest. Es ist eine “Dreiecksgeschichte zwischen einer jungen Postbotin aus der Provinz, die ihre beiden Stiefbrüder kennenlernt, von denen einer in Westberlin als Taxifahrer arbeitet, der andere (gespielt von Armin Müller Stahl) als Elektromonteur im BGW an der Rotherstraße. Der Sonntagmorgen entscheidet über das Schicksal der drei.”

Ganze Arbeiterdynastien entstanden hier über Jahrzehnte, denn auch Familienangehörige arbeiteten selbstverständlich im Narva-Kombinat. Das Werk galt als Frauenbetrieb, da die Hälfte der Belegschaft weiblich war. Viele nannten es auch ihr “zweites Zuhause”.

Das Werk hatte neben der Arbeit viel zu bieten: Einkaufsmöglichkeiten, eine medizinische Betreuung, die schließlich zur Poliklinik ausgebaut wurde, Krippen, Kindertagesstätten, Betriebskinderferienlager, Betriebsferienheime, unterschiedliche Sportstätten und Kultureinrichtungen. In verschiedenen so genannten Zirkeln, wie beispielsweise Tanz-, Mal- und Zeichenzirkel, konnten die Arbeiter_innen, zum Teil unter Anleitung von Berufskünstler_innen, ihre Freizeit verbringen. Es gab eine eigene Hauszeitschrift – die “Lichtquelle” – die  von der Betriebsparteiorganisation der SED herausgegeben wurde. Die werkseigene Kneipe “Glühlampe” war Schichtwechsel- und Feierabendkneipe. Man saß beisammen und manchmal wartete man hier auch auf das fehlende Material. Die Nähe und die Vermischung von Privaten und Beruflichen bedeutete Identifikation und Gemeinschaft, jedoch auch der Verzicht auf Privatleben, denn die Arbeiter_innen standen unter ständiger Beobachtung durch informelle Mitarbeiter_innen der Staatssicherheit.

Wohnungen

Alltag und Diktatur

Die stark subventionierten Wohnungen und insbesondere Altbauten in der DDR befanden sich in einem schlechten Zustand. Sie wurden selten saniert und waren zum Ende der DDR teilweise unbewohnbar, siehe www.planet-schule.de.
Das galt auch für die morbide Infrastruktur und viele volkseigene Betriebe. Sie wurden nicht modernisiert und entsprachen 1989/1990 nicht mehr dem Standard. Siehe André Steiner: Die Planwirtschaft in der DDR. Aufstieg und Niedergang, Erfurt 2016.

Die Wohnungsbau-Genossenschaft des Berliner Glühlampenwerkes hatte über 80 Objekte mit rund 6.000 Wohnungseinheiten. Sie erhob seit Jahrzehnten niedrige und stabile Mieten von 0,80 bis 1,25 DDR-Mark je Quadratmeter, obwohl die Aufwendungen für die Wohnungserhaltung und -bewirtschaftung sich auf 3,00 bis 4,00 DDR-Mark je Quadratmeter beliefen. Die monatliche Miete für eine ca. 60 Quadratmeter große Wohnung machte im Durchschnitt nur etwa 2 bis 4 Prozent vom Haushaltseinkommen aus. Die Differenz wurde vom Staat subventioniert.

Kneipe Zur Glühlampe
Die Kneipe “Zur Glühlampe” im neuen alten Glanz © Marie Dewitz – KOOPERATIVE BERLIN

Die Treuhand knipst das Licht aus

Nach dem Mauerfall nahm sich die Treuhand des Werkes an. Eigentlich sollte ein Käufer gefunden werden, der dieses stark sanierungsbedürftige Werk modernisiert und die Arbeitsplätze rettet. Nach einigen Skandalen wurde das Werk schließlich 1993 aufgegeben und die ca. 5.000 Mitarbeiter_innen entlassen. Das Ende des Werkes leitete gleichzeitig den Abstieg dieses Arbeiterviertels ein. Viele Familien und Arbeiter_innen sind seitdem aus dem Wohngebiet weggezogen. Zurück blieben die Alten und Arbeitslosen.

Literaturhinweis

Horst Liewald: Das BGW. Zur Betriebsgeschichte von NARVA – Berliner Glühlampenwerk. Deutsches Technikmuseum. Berlin 2004.

Martin Wiebel: EAST SIDE STORY. Berlin 2009.

Neuen Auftrieb erhielt der Kiez zuletzt durch die Stärkung des Dienstleistungssektors. Die HypoVereinsbank sanierte Büroflächen. Das ehemalige Hochhaus wird von dem Chemie-Unternehmen BASF gemietet. Die Gegend wird nun Oberbaum-City genannt und zieht junge kreative Unternehmen an.

In der Glühlampe brennt das Licht weiter

Ein letztes Relikt aus der Zeit davor ist die Kneipe “Zur Glühlampe”. Sie behielt ihren Charme und wurde mit der Zeit ein Ort für die Fans von Eintracht Frankfurt, die hier Fußball schauen. Nach einer Renovierung eröffnete die Kneipe im August 2017 im neuen alten Glanz. Hier brennt das Licht noch.



Adresse: Zur Glühlampe
Lehmbruckstraße 1, 10245 Berlin

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