Freies Theaterensemble Zinnober – Nun Theater o.N.

Das Bühnenwesen in der DDR war tief verankert im politischen System und unterstand der Aufsicht der SED. Ein freies Theaterensemble – das durfte es in der SED-Diktatur nicht geben. Das Theater Zinnober spielte trotzdem.

Gespielt wurde in der gesamten DDR

© Bundesarchiv, Bild-183-20375-0002, Zentralbild Gielow -20 375 - 15.7.1953
© Bundesarchiv, Bild-183-20375-0002, Zentralbild Gielow -20 375 – 15.7.1953

Ein freies Theaterensemble in der SED-Diktatur? So etwas gibt es nicht, hieß es damals von den Behörden. Schließlich waren die Schauspieler_innen an staatliche Theater gebunden. Die Instanzen wachten über die Ausrichtung auf die Grundsätze des Marxismus-Leninismus und gaben künstlerische und kulturpolitische Ziele vor. Doch ab 1979 arbeitete eine Gruppe von jungen Schauspieler_innen, Puppenspieler_innen und Puppenmacher_innen unabhängig zusammen und zog als Theaterensemble Zinnober von Kulturhäusern zu Schulen und Veranstaltungsräumen in der ganzen DDR. Nur im Norden, Richtung Rostock, war es kaum möglich aufzuführen, da das Theater Zinnober als nicht anerkanntes Ensemble auf der schwarzen Liste stand und die Kulturverantwortlichen penibel darüber wachten, dass sie nicht auftraten. In anderen Teilen der DDR waren die Schauspieler_innen hingegen gerne gesehen.

Die Kulturhäuser bezahlten die Künstler_innen nach vorgegebenen Kategorien, wobei die Kategorie C, die zunächst schlechtbezahlteste war, später stiegen sie auf. Doch finanziell war das keine große Hürde, denn für Miete und Lebensmittel zahlte man in der DDR generell sehr niedrige Preise und so kam man zunächst auch mit ca. 300 DDR-Mark aus, so erzählt es Uta Lindner.

Interview mit Uta Lindner – Kulturstätte und Schwarze Liste

Das Theaterensemble braucht einen Ort

Das Theaterensemble Zinnober 1985 mit der Aufführung Traumhaft. © Theater o.N.
Das Theaterensemble Zinnober 1985 mit der Aufführung Traumhaft © Theater o.N.

Zu DDR-Zeiten beim Theaterensemble

Gabriele Händel, Iduna Hegen, Werner Henrich, Dieter Kraft, Hans Krüger, Hartmut Mächte, Günther Lindner, Uta Lindner (Schulz), Steffen Rock, Therese Tomaschke, Christian Werdin

Der erste feste Ort des Theaters in der Knaackstraße in Prenzlauer Berg durfte nur für Proben genutzt werden, da es ja kein staatlich anerkanntes Theater war. Gespielt wurde auswärts. Vor dem Haus parkte meist immer das gleiche Auto und beobachtete, wer zur Werkstätte kam, erinnert sich Uta Lindner, eine Schauspielerin, die seit den 1980er Jahren dabei ist. Um sich ungestört besprechen zu können, legten die Ensemblemitglieder meist eine Platte auf und während die Musik spielte, saßen sie mit ihren Gästen unerkannt im Hinterhof.

Interview mit Uta Lindner – Anfänge des Theater Ensembles

Kasper und seine Freunde

Die uralte Tradition des Kaspers, der politisch und gesellschaftskritisch sprach, fand sich auch in den Theaterstücken des Zinnobers wieder, auch wenn das Ensemble keine Lust auf Agitprop hatte. Man wollte sich schließlich von der ideologisch propagandistischen Arbeit der staatlichen Kulturschaffenden abgrenzen, die ständig das sozialistische Lebensideal hervorhoben.

Interview mit Uta Lindner – Kasperltheater

Die Bremer Stadtmusikanten. © Theater o.N.
Die Bremer Stadtmusikanten © Theater o.N.

Die Inszenierungen wurden vom Publikum geschätzt, da es keine fertigen Theaterstücke waren, sondern immer eigene Geschichten, die dem Ensemble zur gegebenen Zeit wichtig erschienen. So wird auch heutzutage noch verfahren.

In der ganzen DDR bekannt wurde das Ensemble mit Theaterstücken wie “Traumhaft” und “Die Bremer Stadtmusikanten”. Mit dem Stück “Die Jäger des verlorenen Verstandes” durften einige Theatermitglieder 1988 sogar nach Graz und zu den Wiener Festwochen nach Österreich reisen – staatlich organisiert von der Künstleragentur. Als Faustpfand blieben Partner_innen und Kinder in der DDR zurück. Und auch 1989 durften einige Mitglieder für ein Gastspiel der “Bremer Stadtmusikanten” nach Westdeutschland reisen. Zwei von ihnen blieben dort. Kaum war die Mauer dann im November geöffnet, kamen sie zurück, um wieder gemeinsam Theater zu spielen.

 

Traumhaft und Wachträume

Alltag und Diktatur: Keine Plakate

Hier würde ein Plakat einer Inszenierung aus DDR-Zeiten zu sehen sein. Doch gab es in der SED-Diktatur wenig Möglichkeiten Plakate und Flyer zu drucken. Das Regime hatte Angst, dass auch Flugblätter in Umlauf kommen, die gegen den Staat gerichtet sein könnten. Druckmaschinen und sogar Papier waren limitiert und schwierig zu bekommen.

Bezug zu seiner Vergangenheit nimmt das Theaterensemble teilweise noch heute. 1979 feierte die DDR ihren 30. Jahrestag seit der Gründung und die Ensemblemitglieder waren und fühlten sich als die ersten Kinder dieses Staates. Anfang der 1980er Jahre führten sie deshalb das Stück “Traumhaft” auf. Es war ein sehr persönliches Stück, in dem die Schauspieler_innen viel von sich selbst preisgaben. Es handelte von Kindheitsträumen, Pionierdrill und Suizidgedanken. “Wir waren Reisende auf der Stelle, zwischen Gehenkönnen und Bleibenwollen. Die DDR war zerrüttet”, so Uta Lindner.

Interview mit Uta Lindner – Traumhaft und Wachträume

Wachträume
Das Theaterstück “Wachträume” © Theater o.N.

2015 entwickelten sie das Stück “Wachträume”, welches auf das frühere Theaterstück Bezug nimmt. Auch wenn es durch mehrere Überarbeitungen nicht mehr so privat und persönlich ist, wie “Traumhaft”. Es geht wieder um die Frage nach dem Sinn im Leben. Betrachtet werden Fluchten und Grenzüberschreitungen, die Unmöglichkeit den anderen ganz zu verstehen und den unbedingten Wunsch, ein gutes Leben in Würde und Anstand zu leben. Jetzt sind es drei Generationen von Schauspieler_innen, aus Ost- und Westdeutschland, die gemeinsam das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft betrachten.

Ortswechsel

Nach der Wiedervereinigung kamen verschiedene Schauspieler_innengruppen zusammen, sodass sie sich in Theater o.N. umbenannten. 1995 mussten sie die Räumlichkeiten in der Knaackstraße 45 im Prenzlauer Berg aufgeben. Die neuen Eigentümer wollten das Haus sanieren und teuer vermieten. Durch die Landesregierung unterstützt, fanden sie Unterschlupf etwas entfernt in der Kollwitzstraße 53, wo das Theater nun seit über 20 Jahren ist. Seine Zukunft ist allerdings ungewiss: Wegen des Lärms, gab es immer wieder Ärger mit den Nachbarn. Jetzt muss wieder saniert werden und dann entscheiden die Wohnungseigentümer_innen, ob das Theaterensemble bleiben darf.


Adresse: Theater o.N. Kollwitzstraße 53, 10405 Berlin

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