Essen und tanzen im Schatten der Parteizentrale

Das Terrassenrestaurant Minsk, Disco und Restaurant in einem, war bei den Potsdamer_innen bei Tag und Nacht eine beliebte Adresse. Nebenan im “Kreml” behielt die Bezirksleitung die Bürger_innen im Blick.

Mit Hilfe der sowjetischen “Freunde”

Der Stahlbetonskelettbau mit Flachdach des Terrassenrestaurants Minsk vom Potsdamer Architekten Karl-Heinz Birkholz verzögerte sich 1971, da der benötigte Stahl in der DDR rar war und in erster Linie für die Konstruktion des Palastes der Republik in Ost-Berlin verwendet wurde.

Dank der geschlossenen Städtepartnerschaft mit der weißrussischen sozialistischen Sowjetrepublik, zwischen Potsdam und Minsk, konnte der zweistöckige Bau, der sich an den Hang des Brauhausberges schmiegt, dann trotzdem vorangetrieben werden. Baumaterialien und Handwerker_innen wurden zur Verfügung gestellt. 1977 wurde das Restaurant Minsk als weißrussische, traditionelle Gaststätte eröffnet – rechtzeitig zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution in Russland. In Minsk befand sich wiederum seit 1970 das Restaurant “Potsdam”, das künstlerisch von Potsdamer Künstler_innen gestaltet worden war.

Russischer Marmor und weißrussisches Geschirr

Alltag und Diktatur:

Handelsorganisation (HO)

Das Terrassenrestaurant gehörte wie die meisten Gaststätten, Hotels und Kneipen zur Handelsorganisation der DDR (HO). Diese wurde 1948 von der Deutschen Wirtschaftskommission als staatliches Unternehmen des Einzelhandels gegründet. Die Gaststätte war ein sogenanntes Nationalitätenrestaurant. Es sollte Einblicke in die landestypische Küche der “sozialistischen Bruderländer“ geben, in diesem Fall in die weißrussische. Diese Restaurants erfreuten sich großer Beliebtheit, trotz der gehobenen Preise. Auf Grund ihres besonderen Speiseangebotes zählten sie zu den besten Adressen in der Gastronomie der DDR. Siehe dazu auch “Stadt Prag in Magdeburg”.

Die Innenausstattung im Terrassenrestaurant Minsk sollte beeindrucken: russischer Marmor für die Eingangshalle, Vertäfelungen und Holzschnitzereien aus kostbarer Mooreiche, Wandbespannungen, Tischlampen aus Bleiglas und Kupfer sowie Tischdecken und Servietten von Minsker Künstler_innen. Die Fensterscheiben wurden mit Bleikristallplatten beklebt, auf denen Motive aus Minsk dargestellt waren: bspw. der Nationalzirkus oder das Parlamentsgebäude.

Das besonders außergewöhnliche und extra aus der weißrussischen Sowjetrepublik beschaffte Geschirr übte eine ganz besondere Anziehungskraft auf die Gäste und Angestellten des Restaurants aus: Stück für Stück verschwanden Teller und Gläser aus dem Restaurant. Teilweise landeten sie als Souvenir in den Wohnzimmervitrinen der Potsdammer_innen, teilweise wurden sie für Geld verscherbelt. Die Restaurantchefin blieb machtlos, bis man sich dann schließlich entschied, das normale Geschirr, das den Bürgern aus anderen HO- und Interhotel-Gaststätten der DDR bekannt war, einzuführen.

“Texaner wollen wir hier nicht haben”

Ausgehen in Potsdam

Beliebte Treffpunkte, an denen die Potsdamer_innen ihren Arbeitstag ausklingen ließen, waren vor allem die Cafés und Kneipen der Stadt. Zu den bekanntesten gehörte das Café Heider. Den Künstler_innen bot es einen beliebten Rückzugsort. Familien gönnten sich hier Kaffee und Kuchen und die Kinder erfreuten sich an einem Eisbecher, der mit einem Schwan aus Brandteig serviert wurde. Ab 18 Uhr konnte das sogenannte Herrengedeck bestellt werden, das aus einem Bier und einem Piccolo-Sekt bestand. Wohlgemerkt, beides für den Herren, nicht zum Einladen einer Dame. Wenn das Café Heider um 22 Uhr schloss, zogen die nicht müde gewordenen Gäste weiter: ins Café Bellevue, das sich in der obersten Etage des Interhotels (heute Hotel Mercure) befand, oder ins Terrassenrestaurant Minsk. Außerhalb der Innenstadt, im Wohngebiet am Stern gab es außerdem eine angesagte Disco in der Mehrzweckgaststätte Orion.

In Potsdam gab es eine lebhafte Szene, besonders von jungen Menschen in den 1980er Jahren, die sich bei allen möglichen Veranstaltungen, wie Ausstellungen und Konzerten trafen und ein neues Lebensgefühl im Alltag einer Diktatur vermittelten. Nach der Arbeit war es üblich, nicht sogleich nach Hause zu gehen, sondern sich in den Cafés und Kneipen aufzuhalten. Neben dem Restaurantbetrieb vom Minsk konnten Nachtschwärmer in der hauseigenen Disco das Tanzbein schwingen. Nicht selten stand dabei die Restaurantchefin persönlich an der Tür. Wer mit Pullover und Jeans Einlass suchte, kam an ihr nicht vorbei. “Texaner wollen wir hier nicht haben!”, rief sie aus, so schildert dies Frank Reich und lacht. Dann musste man warten, bis sie ihre Stellung am Eingang aufgab und jemand anderes der Belegschaft einen reinwinkte, gerne auch gegen ein extra Trinkgeld. Frank Reich, der hier als junger Erwachsener häufig war, erinnert sich an das Zusammensein. Man trank Bier oder Sekt und konnte hier in der Woche bis 1 Uhr und am Freitag und Samstag sogar bis 3 Uhr nachts verweilen und die Aussicht auf die Stadt Potsdam genießen.

Von Glanz zu Graffiti

Nach dem Ende der DDR gab die Landesregierung Brandenburg im Restaurant Minsk noch festliche Empfänge. Mitte der 1990er Jahre ging das Geld aus und man stellte den Betrieb ein. Von dem früheren Glanz der “Perle Potsdams”, ist heute nichts mehr übrig. Das Gebäude verkommt. Allein die Betonelemente lassen die Gestalt der früheren Gaststätte erahnen. In Ansätzen ist auch noch die Leuchtreklame zu erkennen, die auf das Stadtwappen der Stadt Minsk und die sowjetische Städtefreundschaft zwischen Potsdam und Minsk verweist. Die in den letzten Jahren entstandenen Graffitis zeugen von nächtlichen Besucher_innen.

Interview mit Helen Thein – Über das “Lindenhotel”, die Grenze und die Ausgehszene

Die SED-Parteiführung hatte ihre Stadt gut im Blick

Alltag und Diktatur:
SED

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) erhob den alleinigen Führungsanspruch für sich. Sie übte ein Machtmonopol über Staat, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft aus. Sie durchdrang das gesamte politische System und versuchte das öffentliche wie auch das private Leben in der DDR zu beeinflussen und zu kontrollieren.

Stasi in der Lindenstraße

Das Ministerium für Staatsicherheit (kurz Stasi) war eines der wichtigsten Instrumente, um die Herrschaft der SED zu sichern. In der Potsdamer Lindenstraße 54 befand sich, neben dem “Kreml” – der Bezirksleitung der SED – ein weiterer Machtort des Regimes. Hier unterhielt die Stasi ein Gefängnis, das im Volksmund zynisch “Lindenhotel” genannt wurde. Wer wusste, was sich hinter den Mauern verbarg, wechselte die Straßenseite. Siehe Gedenkstätte Lindenstraße.

Der Brauhausberg erhielt im 18. Jahrhundert mit der königlichen Brauerei seinen Namen. Das große Gebäude, das über der Stadt ragt, war bis 1914 Reichskriegsschule, dann Reichs- und Heeresarchiv. Zu DDR-Zeiten erhielt das Gebäude vom Volksmund den Spitznamen “Kreml”, weil nach Auflösung der Länder in der DDR die SED-Bezirksleitung Potsdam ab 1952 dort ihren Sitz hatte. Noch heute lässt sich an der Fassade des Turmes das SED-Parteisymbol erahnen: der Händedruck zwischen Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl, mit dem der (erzwungene) Zusammenschluss von SED und KPD 1946 besiegelt wurde.

Die Bezirksleitung der SED, ganz oben auf dem Berg, war eingezäunt und stark bewacht. “Da ging man einfach nicht hin”, sagt Helen Thein, die zu der Zeit in der Stadt- und Landesbibliothek arbeitete. “Aber Angst hatte man vor diesem Ort nicht”, berichtet sie weiter. Man ging ins Schwimmbad oder ins Minsk, aber dieses Gebäude ignorierten viele.

Nach dem Mauerfall im Jahr 1989 tagte hier im Gebäude der ehemaligen SED-Bezirksleitung der Brandenburgische Landtag, bis er 2014 ins neu erbaute Stadtschloss, neben der Nikolaikirche umzog.

Von Tunneln und Kellergewölben

Der Brauhausberg, von vielen Gewölben scheinbar durchlöchert, eignete sich als hervorragender Ort zum Versteckspiel. Spielende Kinder stiegen in die Kellerfenster von Häusern in der Leipziger Straße, am Fuße des Brauhausberges ein, wo ein ehemaliger Kornspeicher im 18. Jahrhundert zur Königlichen Brauerei umfunktioniert worden war. Sie krochen von Keller zu Keller, bis sie nach ca. 1 ½ Stunden oben auf dem Brauhausberg ankamen. Es half nichts, dass die Kellerdurchgänge immer wieder zugemauert wurden, denn diese Ziegelsteine wurden immer wieder herausgebrochen.

Die unterirdischen Gewölbe waren mit Klinkerstein ausgebaut, um im 18. und 19. Jahrhundert zunächst Wein und später Bier zu lagern und um im Eiskeller die Bierzutaten vor der sommerlichen Hitze zu schützen. Zu DDR-Zeiten wurde hier der Volkseigene Betrieb (VEB) Brauerei Potsdam betrieben. Nach 1989/1990 erwarb die zu DDR-Zeiten enteignete Berliner-Kindl-Brauerei den Betrieb zurück, doch wurde die Produktion auf dem Brauhausberg 1995 endgültig aufgegeben.


Adresse: Terrassenrestaurant Minsk Brauhausberg 24, 14473 Potsdam

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