Die Bildung durch die SED

Die ideologische Erziehung der DDR-Bürger_innen zeigte sich besonders in der Bildung: Von der Krippe und Kindertagesstätte bis zur Schule, flankiert von den außerschulischen Organisationen der Pioniere und der Freien Deutschen Jugend wurden Kinder und Jugendliche in die SED-Ideologie eingeführt.

Sozialistische Persönlichkeit

Das Erziehungssystem in der DDR entwickelte sich von 1949 bis in die späten 1960er Jahre zu einem flächendeckenden Betreuungssystem für alle Kinder vom Säuglingsalter an. Kinderbetreuung und Schule waren fester Bestandteil des zentral gelenkten Bildungssystems der DDR. Für die meisten DDR-Bürger_innen war die Erziehung in staatlichen und betrieblichen Kindergärten und im daran anschließenden Einheitsschulsystem eine Selbstverständlichkeit. Die institutionelle Praxis der Kinder- und Jugenderziehung war beherrscht von einem allumfassenden Anspruch zur Erziehung einer “allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit”. Damit gemeint war die politisch-ideologische Erziehung der Kinder und Jugendlichen sowie deren frühe Vorbereitung auf die Arbeitswelt. Zentrales Element der Erziehung in der DDR war die Einebnung individueller Verhaltensweisen zugunsten einer unhinterfragten Unterordnung des Einzelnen unter die Bedürfnisse des Kollektivs. Doch die SED förderte auch Begabte in Spezialschulen. Besonders bekannt waren die Kinder- und Jugendsportschulen, es gab aber auch Spezialschulen im Bereich Musik, Naturwissenschaften, Mathematik, Elektronik oder Russisch.

Maßgeblich für die Ausweitung des Bildungssystems war Margot Honecker. Von 1963 bis 1989 war sie Minister für Volksbildung und straffte das Bildungssystem ideologisch im Sinne der orthodoxen Lehre des Realsozialismus. Reformbestrebungen und Liberalisierungstrends verhinderte sie rigoros. Honecker war unter anderem dafür verantwortlich, dass Kinder, deren Eltern einen Fluchtversuch unternommen hatten oder wegen angeblicher “Spionage” inhaftiert waren, zur Zwangsadoption freigegeben wurden.

POS, EOS

Nach dem Kindergarten wechselten die Kinder mit sechs oder sieben Jahren in die zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule (POS). Seit dem Schulgesetz von 1965 war die POS in Unterstufe (1-3), Mittelstufe (4-6) und Oberschule (7-10) gegliedert. An allen Schulen wurden ab den 1950er Jahren Küchen und Speiseräume eingerichtet, um die Schüler_innen zu versorgen. Zum Schulkonzept gehörte außerdem ein Schulhort. Hier wurden die Kinder nach der Schule nicht nur betreut. Sie konnten ihre Hausaufgaben erledigen und wurden auch ideologisch geformt im Sinne des Sozialismus.

Die Allgemeinbildung an den POS war stark naturwissenschaftlich-technisch ausgerichtet. Die Schüler_innen sollten im polytechnischen Unterricht früh an die Arbeitswelt herangeführt werden, so dass Theorie stark mit Praxis verzahnt war. Die erste Fremdsprache war ab der 5. Klasse Russisch. In der Oberstufe konnten die Schüler freiwillig zwischen Französisch und Englisch wählen. Der Abschluss ist mit dem heutigen Realschulabschluss vergleichbar.

Die meisten machten nach der Schule eine meist zweijährige Berufsausbildung und wurden dann ins Berufsleben entlassen. Nur wenige (circa 10% eines Jahrgangs) machten eine Berufsausbildung mit Abitur oder gingen auf die erweiterte Oberschule (EOS), um ihre Hochschulreife zu erlangen.

Konform sein

Alltag und Diktatur:

Pionierorganisation “Ernst Thälmann”

Ernst Thälmann war der ehemalige Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands. Nach ihm wurden die Jung- und Thälmannpioniere benannt, eine politische Massenorganisation nach sowjetischem Vorbild für Kinder vom ersten bis zum siebten Schuljahr. Danach folgte meist die Aufnahme in die Freie Deutsche Jugend (FDJ). Auch wenn sie offiziell als freiwillig galt, so wurde die Mitgliedschaft in beiden Organisationen von der SED und den Schulen jedoch für selbstverständlich gehalten. 1989 waren fast zwei Millionen Schüler_innen, also ca. 98% der Schulkinder, Mitglied in der Pionierorganisation.

Über die Laufbahn der Schüler_innen entschied nicht nur deren fachliches Wissen, auch politische Kriterien waren ausschlaggebend, wie zum Beispiel das Engagement der Schüler_innen, die Mitgliedschaft bei den Pionieren beziehungsweise der FDJ, der Beruf der Eltern oder die Konfession. Für Mitglieder einer Kirchengemeinde etwa war es schwieriger, das Abitur machen zu dürfen und zu studieren. Mehr dazu im Text zu Hermannswerder hier.

Jungen mussten sich außerdem zu einem mindestens 18-monatigen Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee verpflichten. Wer als Junge studieren und einen bevorzugten Studienplatz ergattern wollte, musste sich auf drei Jahre oder länger verpflichten.

Das Schulsystem war stark ideologisiert und militarisiert. Fahnenappelle fanden zu Beginn und zum Ende des Schuljahres sowie zu besonderen Anlässen statt. Sofern sie Mitglied waren, trugen die Kinder dabei die Uniform der Pionierorganisation Ernst-Thälmann: weißes Hemd mit dunkelblauer Hose oder weiße Bluse mit dunkelblauen Rock und einem blauen dreieckigen Halstuch. Die Jugendlichen trugen die Uniform der FDJ: das Blauhemd, auf dessen linken Ärmel das Symbol der aufgehenden Sonne – das Emblem der FDJ – aufgenäht war.

Zum 12. Jahrestag der Pionierorganisation erhalten Schüler der Klasse 5b der 12. Oberschule Berlin von ihrer Pionierleiterin einen Wimpel für die Gruppenfahne (1960) (c) Bundesarchiv Bild-183-78706-0002 / Fotograf_in unbekannt
Zum 12. Jahrestag der Pionierorganisation erhalten Schüler der Klasse 5b der 12. Oberschule Berlin von ihrer Pionierleiterin einen Wimpel für die Gruppenfahne (1960) (c) Bundesarchiv Bild-183-78706-0002 / Fotograf_in unbekannt

Ab 1978 wurde in der POS ab der 9. Klasse der Wehrunterricht eingeführt. In diesem obligatorischen Unterricht wurde militärisches und politisches Grundlagenwissen zur Nationalen Volksarmee vermittelt.
Seit den 1970er Jahren waren fast alle Kinder bei den Pionieren und die Jugendlichen bei der FDJ Mitglied. Der Unterricht begann damit, dass sich die Klasse beim Eintritt des_r Lehrers_in erhob und den Gruß der Pioniere (Lehrer_in: “Für Frieden und Sozialismus, seid bereit!” – Klasse: “Immer bereit!”) oder den Gruß der FDJ (Lehrer_in: “Freundschaft” – Klasse: “Freundschaft!”) verwendete.

Junge Pioniere und Freie Deutsche Jugend

Alltag und Diktatur:

Freie Deutsche Jugend (FDJ)

In der DDR war die Freie Deutsche Jugend (FDJ) der kommunistische Jugendverband und die einzige staatlich anerkannte und geförderte Jugendorganisation. Erziehung im Sinne des Marxismus-Leninismus und zu “klassenbewussten Sozialisten” waren die Ziele. Die FDJ sah sich als “Kampfreserve der SED”. Trotz beteuerter Freiwilligkeit, wurden Kinder und ihre Eltern, besonders aus dem kirchlichen Milieu, gezielt unter Druck gesetzt, der FDJ beizutreten. Jugendliche konnten ab dem 14. Lebensjahr aufgenommen werden und viele wollten dazu gehören, denn die FDJ organisierte Freizeitangebote, Jugendclubs und Reisen. FDJ-Mitglieder mussten bei bestimmten Anlässen, wie bspw. bei Demonstrationen zum 1. Mai, 7. Oktober, oder bei Fahnenappellen, ihr Blauhemd, das FDJ-Hemd, tragen.
Das Buch von Ulrich Mählert: FDJ 1946-1989. Erfurt 2001 kann hier online gelesen werden.

Das engmaschige Betreuungs- und Bildungssystem wurde flankiert von den Organisationen der Jungen Pioniere (JP) und der Freien Deutschen Jugend (FDJ), die Freizeitaktivitäten anboten und die Jugend auch abseits der Schule politisch auf Kurs hielten. Die Verweigerung zur freiwilligen Mitgliedschaft in den Jugendorganisationen hatte in der Regel schwerwiegende Folgen: Die Zulassung zum Abitur, ein Hochschulstudium oder die Verwirklichung des persönlichen Berufswunsches waren kaum zu erreichen. Zum Ende der DDR gehörten über 90% aller Schüler_innen, Studierenden und Lehrlinge der “Freien Deutschen Jugend” (FDJ) an.

An den sogenannten Pioniernachmittagen trafen sich Mitglieder der Pionierorganisation einer Klasse regelmäßig unter Anleitung ihrer Klassenlehrer_innen. Außerdem gab es an den Schulen den Freundschaftsrat, vergleichbar mit einer Schüler_innenvertretung, nur dass hier lediglich Mitglieder der Pioniere teilnehmen durften. Die Leitung dieser Sitzungen übernahm der “Freundschaftspionierleiter”, der oder die ein_e hauptamtliche_r FDJ-Funktionär_in war und für das Pionierleben an der Schule organisatorisch und politisch verantwortlich war. Außerhalb der Schule organisierten die JP und FDJ zahlreiche Freizeitangebote und Ferienaufenthalte.

EOS “Johannes R. Becher”

Alltag und Diktatur:

Schulalltag

Zum Schulalltag in der DDR und wie in den 1970er Jahren Schüler_innen diszipliniert wurden, kann am Beispiel der EOS “Johannes R. Becher” hier nachgelesen werden:
Heinz Voigt: Unterwürfiger Ton an der EOS “Joahnnes R. Becher”. In: Gerbergasse 18 – Thüringer Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte und Politik (Heft 64, Ausgabe 1/2012), S. 28-31.

Das heutige Verwaltungsgebäude des Dezernats III – Stadtentwicklung und Umwelt, war früher eine Schule. 1953 wurde das Schulhaus Oberschule “Am Anger” erbaut und war eine Erweiterte Oberschule, die 1961 in EOS “Johannes R. Becher” umbenannt wurde. Becher war Dichter und SED-Politiker, Minister für Kultur und erster Präsident des Kulturbundes der DDR und ist 1958 verstorben. Er hatte sich für den Bau der Schule eingesetzt.
Aus der EOS “Johannes R. Becher” ist 1992 das “Staatliche Gymnasium Am Anger” hervorgetreten, welches 2006 an seinen jetzigen Standort in die Karl-Liebknecht-Straße 87 zog. Den Namen Anger behielt das Gymnasium bei, obwohl es nicht mehr am Anger war. Die Stadt hat das Schulhaus 2006 zu Verwaltungszwecken übernommen.

Kommunalwahlen am 7. Mai 1989

Als am 7. Mai 1989 Kommunalwahlen in der DDR abgehalten wurden, war an dieser Schule eines der 700 Wahllokale der DDR. Auf Flugblättern riefen Bürgerrechtler_innen zum Boykott der Kommunalwahlen auf und wollten gleichzeitig die Auszählung der Stimmen flächendeckend kontrollieren.

Entgegen der üblichen Vorgehensweise, dass die DDR-Bürger_innen wählen gingen (Wahlbeteiligung von 99,8%) und das Ergebnis von 99,7% für die “Einheitsliste der Nationalen Front” verkündet wurde, kamen bei diesen Wahlen couragierte Bürger_innen um 18 Uhr zu den Auszählungen der Ergebnisse in die Wahllokale, um den Wahlvorsitzenden und ihren Helfer_innen über die Schultern zu schauen.

Am Abend verkündete der Wahlleiter Egon Krenz das “schlechteste” Ergebnis der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland seit Gründung der DDR mit knapp 98% Ja-Stimmen. Ein eklatanter Widerspruch zu den 7% der DDR-Bürger_innen, die laut Zählungen der Bürgerrechtler_innen gegen die SED gestimmt hatten. Somit war erstmals die Manipulation von Wahlen bewiesen worden. Diese Kommunalwahl gilt als Beginn der “friedliche Revolution”.


Adresse: ehemalige EOS “Johannes R. Becher” Am Anger 26 07743 Jena

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