Wohnzimmergalerie Bahß – Eine subkulturelle Enklave

Eine Privatgalerie in der SED-Diktatur, ohne staatliche Genehmigung, gab es so etwas? Ja, das gab es. Nicht oft, meistens nicht lange, aber es gab sie. Betrieben von Menschen, die einen anderen, nicht zentral gesteuerten Blickwinkel einnehmen wollten.

“Wenn sich in anderen Ländern Leute Löcher in den Kopf schießen lassen bei dem Versuch, Ideen zu verwirklichen, da werden wir doch wenigstens Arbeiten von Leuten, die uns etwas zu sagen haben, in unsere Räume hängen können.”

Mit diesem Zitat des ostdeutschen Künstlers Robert Rehfeldt kann sich das Ehepaar Bahß sehr gut identifizieren. Gemeinsam betrieben beide von 1981 bis 1983 eine private Wohnzimmergalerie in Magdeburg. In der DDR war das zu keinem Zeitpunkt normal. Es wurde gedeutet als etwas subversives, als etwas, das sich der staatlichen Ordnung entzog. Etwas, das zu beobachten und zu bewachen unbedingt von Nöten war. Und dennoch existierten sie, diese Orte des Andersseins, der Emanzipation und des kreativen Schaffens. Gerade weil der Drang so groß war, in einem ideologisch vorbestimmten und gesteuerten Staat weitere Antworten auf Fragen zum Dasein und Miteinander zu finden.

Kunst zwischen Flur und Wohnzimmer

Fotografien von Ingrid und Dietrich Bahß

http://www.bahss.de

speziell zum: Hasselbachplatz

In der Hegelstraße 33, nahe des Magdeburger Hasselbachplatzes, existierte in den frühen 1980er Jahren eine subkulturelle Enklave. Hier diskutierte man wild, trank Rotwein und rauchte Kette, las Gedichte und Essays, tanzte zur Neuen Deutschen Welle und betrachtete zeitgenössische Bilder, von bekannten und weniger bekannten ostdeutschen Künstler_innen. Ort dieser Freigeistlichkeit war die Altbauwohnung des Ehepaares Ingrid und Dietrich Bahß. Durch einen glücklichen Zufall konnten die beiden die allgemein heißbegehrte Plattenbauwohnung mit Zentralheizung gegen den 130 Quadratmeter großen unsanierten Jugendstilpalast tauschen und fanden sich so in der Hegelstraße wieder. Früher wie heute gehören diese Straßenzüge um den Hasselbachplatz zum Kneipen- und Ausgehviertel der Stadt.

Interview mit Ingrid Bahß – Publikumsansturm in der Wohnungsgalerie

Und mittendrin: die Galerie Bahß. Es ist voll, die Leute sitzen auf den breiten Dielen, stehen dicht aneinander gedrängt mit Weingläsern oder Bier, die Farbe blättert von den alten Zimmertüren, man sieht Stuck, unverputzte Wände oder partiell weiß gestrichene Flächen. Das neu entstandene Galerieprojekt sprach sich schnell herum. Und die subkulturelle und alternative Szene pilgerte aus Ostberlin, Leipzig und Dresden her. Zu diesem besonderen Ort in der Magdeburger Hegelstraße, der so häufig als offenes Haus beschrieben wurde: wo die Begegnung niemals zu kurz kam, Schnitten füreinander geschmiert wurden und weitgereiste Gäste immer ein Bett fanden.

Alltag und Diktatur:

“Sascha” Anderson

Alexander “Sascha” Anderson ist ein deutscher Schriftsteller. Er war der einstige “Star” der Ostberliner Kulturszene, bis ihn 1991 der Schriftsteller Jürgen Fuchs und der Liedermacher Wolf Biermann öffentlich als inoffiziellen Mitarbeiter (IM) der Stasi entlarvten. Siehe dazu die Rede von Wolf Biermann: Der Lichtblick im gräßlichen Fatalismus, in: Die ZEIT 1991.
Ein Film über Anderson von Annekatrin Hendel ist 2013 erschienen. Siehe dazu die Filmkritik von Anita Krätzner.

Es gab lange Nächte und wenig Schlaf. Die Tür stand allen offen – von Arbeiter_innen bis zu Diplomaten_innen einer ausländischen Botschaft waren alle vertreten. Heiner Müller las im Wohnzimmer vor 130 Zuhörer_innen. Im Flur hingen die abstrakten Arbeiten von Franz Johannknecht und A. R. Penck. Man tanzte zu Bands wie Juckreiz und schaute sich alte und neu inszenierte Theaterstücke an. Auch Sascha Anderson, Popstar der alternativen Schriftsteller- und Künstlerszene Ost-Berlins, war häufig Gast in der Wohnzimmergalerie und brachte Horch und Guck gleich mit: Später stellte sich heraus, dass er einer der eifrigsten Informanten der Stasi war. Er gab Auskunft über Zusammentreffen der Szene, nannte Namen der Teilnehmenden und zitierte Gesprächsinhalte.

Die Galerie war für kurze Zeit eine Insel der gelebten künstlerischen Begegnung in einem Meer von Vorgaben und Überwachung. Bis die Bahß vertrieben wurden.

Ausstellungen Hegelstr. 33 in der Galerie Bahß - Magdeburg 1981-83 (c) Dietrich Bahß
Ausstellungen Hegelstr. 33 in der Galerie Bahß – Magdeburg 1981-83 © Dietrich Bahß

Das Private ist kreativ

Die Suche nach Antworten, die Suche nach etwas Existenziellem im Leben trieb Ingrid Bahß schon seit ihrer Kindheit an. Häufig geriet sie mit Autoritätspersonen aneinander. Als John F. Kennedy ermordet wurde, bekannte sich ihre Grundschulklasse gegen den Willen des Lehrers mit einer Schweigeminute zu dem Politiker des feindlichen Lagers. Lehrende und Schulleitung tobten. Im Studium der Pädagogik wurde sie vorzeitig exmatrikuliert, weil sie im Dunstkreis der Kirchengemeinde agierte. Damit entsprach sie in der DDR nicht der staatlichen Vorstellung einer sozialistischen Lehrerpersönlichkeit.
Auf der Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten für sich, beschloss sie, nicht selbst künstlerisch tätig zu werden, sondern anderen ein öffentliches Forum für deren Kunst zu bieten. Und so wurde sie Kuratorin in ihren eigenen vier Wänden. Ein künstlerisches Programm gab es nicht, der Ansatz war rein subjektiv. Ausgestellt wurde, was sie berührte, was Kraft hatte und immer irgendwie einen Schmerz in sich trug. Eine Galerie mit dem Ansatz Bilder verkaufen zu wollen, war die Hegelstraße 33 nie. Das hätte das SED-Regime auch nicht geduldet. Nur unter der Hand wurde bei Kaufinteresse der persönliche Kontakt zu den Künstler_innen hergestellt.

Interview mit Ingrid Bahß – Über Bespitzelung, die Stasi, das Verhör und das Ende der Galerie

Mit dem Frieden kommt die Ausweisung – die Schließung der Galerie

Alltag und Diktatur:

Ausreise

In der DDR gab es keine Reisefreiheit und nach dem Bau der Mauer 1961 konnte man zwar einen Ausreiseantrag stellen, wenn man auswandern und keine Flucht riskieren wollte. Jedoch wurden Menschen und ihre Familien, die einen Ausreiseantrag stellten, häufig bespitzelt, im Alltagsleben schikaniert oder sogar inhaftiert. So kam es, dass die einen ausreisen wollten, aber nicht durften, andere wiederum zu einer Ausreise gezwungen wurden, wie beispielsweise die Familie Bahß. Ein prominentes Beispiel ist auch der Liedermacher Wolf Biermann, dessen Wiedereinreise in die DDR 1976 verweigert wurde. So konnte sich die SED-Diktatur unbequemer Bürger_innen entledigen. Doch die Ausbürgerung von Biermann führte dazu, dass der Liedermacher bekannter und einflussreicher wurde und seine Kritik an dem SED-Regime noch schärfer äußerte. Auch protestierten 13 Künstler_innen und Schriftsteller_innen mit einem offenen Brief an die DDR-Führung. Über 100 weitere prominente DDR-Persönlichkeiten unterschrieben den Aufruf. Siehe mehr zur Biermanns Ausbürgerung in MDR ZEITREISE.

Vielleicht ist es Ironie der Geschichte, dass die allerletzte Ausstellung der Galerie Bahß im Jahr 1983 sich dem Thema “Frieden” verschrieben hatte, bevor die Familie Bahß vonseiten der Staatssicherheit gezwungen wurde, die Galerie zu schließen. Das Wort “Frieden” benutzten die DDR-Medien und die Führungsriege exorbitant oft, es wurde zur sinnentleerten Hülse. Und genau dagegen wollten die Bahß mit einer Ausstellung angehen. Geplant war ein elfstündiges Programm mit 20 Künstler_innen, von 20 Uhr bis 5 Uhr – eine ganze Nacht voll Kunst. Was das Ehepaar zum damaligen Zeitpunkt nicht wissen konnte, aber irgendwie immer geahnt hatte, wurde Realität: Die Staatssicherheit hatte sie von Beginn an bespitzelt und überwacht. Inoffizielle Mitarbeiter_innen, darunter Freunde und Bekannte, informierten die Behörde über alle möglichen kleinen und persönlichen Dinge. Natürlich lebte man in der DDR mit dem Bewusstsein, überwacht zu werden, aber man meinte, den Spitzel als Spitzel erkennen zu können. Das war weit gefehlt. Kurz vor der Eröffnung der Vernissage musste sich das Ehepaar zur Befragung bei der Staatssicherheit einfinden. Sie hatten Angst, dass sie nicht zurückkommen würden. Vollmachten über das Sorgerecht ihrer Kinder hatten sie vorsorglich schon unterschrieben und an Freunde übergeben. Ins Gefängnis kamen sie nicht, aber sie mussten ihrer “freiwilligen” Ausreise zustimmen. (Mehr zu Ausreiseanträgen beim Ort Weißer Kreis in Jena hier.) Eingeschüchtert und mit Zukunftsängsten blieben die beiden nach dem Verhör zurück. Das Ziel der Beamten war die Schließung der Galerie, da man sie zum “Konzentrationspunkt politisch negativer Personenkreise” erklärte. Eine von Verunsicherung und Wut begleitete Ausstellungseröffnung gab es, aber man wusste auch, dass es keine weiteren geben würde. Nach zweieinhalb Jahren und 13 Ausstellungen sollte Schluss sein mit der Wohnzimmergalerie.

Im Westen ankommen?!

Eilig und innerhalb weniger Wochen wurde die Ausreisegenehmigung für die Familie erteilt. Im Dezember 1983 zogen sie nach Köln, wegen des Rheins, der Ingrid Bahß an die Elbe erinnerte. Und weil Köln damals eine pulsierende Kulturszene hatte. Es folgten schwierige Jahre der Eingliederung und Heimatsuche im neuen System. Die neo-liberale Leistungsgesellschaft auf der einen und das Leben im Asylantenwohnheim – beengt, mit Etagenbett, Kohleofen, Dusche und WC auf dem Gang – auf der anderen Seite befremdeten sie. Ingrid Bahß wurde vorerst Putzfrau, ihr Mann kam im Fotoarchiv unter. Mit der Zeit lernten die beiden sich anzupassen und durch die Integration der Kinder, integrierten sich schließlich auch die Eltern.
Als Ingrid Bahß’ Vater 1987 in Werben an der Elbe starb, durfte sie nicht in ihre alte Heimat, um sich zu verabschieden. Sechs Jahre lang hatten sie keinen Kontakt zu Freunden und Familie. Strikte Kontaktsperre wurde ihnen auferlegt. Mehrere geplante Reisen nach Prag scheiterten. Früher war das oft die einzige Möglichkeit für West-Freunde, die kein Visum für die DDR erhielten, dort ihre Bekannten zu treffen.
Die Freude war groß, als die DDR 1989 zusammenbrach. Endlich konnten die Eheleute all die Beziehungen wieder aufleben lassen, die so lange ruhen mussten. Heute leben sie abwechselnd in Köln und in der kleinen Elbstadt Werben. Sie machen weiter. Organisieren unermüdlich Ausstellungen, Lesungen und Konzerte. Sie können nicht anders, Kulturarbeit ist eben ihr Leben.


Adresse: Wohnzimmergalerie Bahß Hegelallee 33, 39104 Magdeburg

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