Mitropa – Die Gaststätte am Leipziger Hauptbahnhof

“Für die Kehle und den Magen sorgt Mitropa-Speisewagen.” Vor über hundert Jahren wurde die Schlafwagen- und Speisewagen Aktiengesellschaft Mitropa gegründet. Sie versorgte Reisende in Bahnhöfen und auf Autobahnraststätten.

Reise im Schlafwagen (1956) (c) Bundesarchiv Bild-183-39238-0008 / Fotograf Zühlsdorf
Reise im Schlafwagen (1956) (c) Bundesarchiv Bild-183-39238-0008 / Fotograf Zühlsdorf

Die von den Eisenbahnverwaltungen Deutschland, Österreich und Ungarn 1916 gegründete “Mitteleuropäische Schlafwagen- und Speisewagen Aktiengesellschaft” bestand in der DDR fort und beschäftigte tausende Mitarbeiter_innen. Ein überschaubares Angebot, billiges Bier und schmutzige Bistrowägen, die sogar im Staatsfernsehen kritisiert wurden: Der Mitropa eilte ihr Ruf voraus. Doch hatte sie auch eine ganz andere Seite, erzählt der ehemalige Schlafwagenfahrer Klaus-Dieter Kretschmann, der heute Leiter des Vereins “Freunde der Mitropa e.V” ist: “Von Mitropa hat man alles verlangt, wenn was schief ging, wurde auf Mitropa geschimpft, aber die Kollegen haben sich immer Mühe gegeben. Wenn es jedoch nach langen Fahrten durch schlechte Versorgungslage und großen Andrang nichts mehr gab, mussten sie sich dafür verantworten.”

Kretschmann erinnert sich: Der Schlafwagenschaffner war “Mädchen für Alles”. Er kümmerte sich um die Warenübernahme, die Speisen und Getränke. “Als pfiffiger Schlafwagenfahrer musste man improvisieren können und kreativ sein”, so Kretschmann. Man erfuhr im Schlafwagen zum Teil ganze Familiengeschichten und es kam vor, dass man plötzlich vor einem nackten Gast stand.

Er erinnert sich noch gut an seinen ersten Arbeitstag, als es erstmal hieß: Wagen schrubben! Seiner Meinung nach ist die Aufregung über Mitropa übertrieben. Die meisten der ca 20.000 Mitarbeiter_innen, die zu Hochzeiten für Mitropa arbeiteten, standen hinter dem Unternehmen. “Einige wenige, die das nicht taten, sind damit zur Presse, daher kommt der schlechte Ruf”, so erklärt es Kretschmann und ergänzt: “Ich hab die Mitropa positiv in Erinnerung, weil ich international unterwegs war. Die Kollegen, die zwischen Gera und Erfurt unterwegs waren, haben natürlich ganz andere Sachen erlebt.”

Essen auf Rädern

Jürgen Zittwitz war über viele Jahre Küchenmeister in einem Mitropa Speisewagen. Von 1960 bis 1990 erstellte er Tageskarten und bereitete zu, was als Standard vorgegeben war. Was aufgebraucht war, musste vom Küchenmeister persönlich nachbestellt werden. Ein typischer Arbeitsalltag war beispielsweise ein Tageszug von Berlin nach Karlsbad in der Tschechoslowakischen Republik. Hinter Leipzig fing man an das Mittagessen vorzubereiten. Später gab es Kaffee – und am nächsten Tag fuhr man wieder zurück.

Zittwitz erinnert sich, dass die Qualität des Services mit den Jahren deutlich abnahm: “Irgendwann hat keiner mehr Ordnung gemacht, weil keine Fachleute mehr eingestellt wurden. Dann hat sich Gleichgültigkeit breit gemacht.”

Mitropa im Leipziger Hauptbahnhof

Die ehemalige Mitropa Gaststätte, nun eine Buchhandlung (c) Marie Dewitz - KOOPERATIVE BERLIN
Die ehemalige Mitropa Gaststätte, nun eine Buchhandlung (c) Marie Dewitz – KOOPERATIVE BERLIN

Neben den Bordrestaurants betrieb die Mitropa auch Bahnhofsgaststätten. Das Lokal am Leipziger Hauptbahnhof gehörte zu den größten Mitropa-Gaststätten der DDR. Ein besonderes Merkmal war vor allem die breite Treppe, die zum Restaurant hinauf führte.
Ältere Besucher_innen erinnern sich noch an die Scheren, die an den Gürteln der Kellner_innen baumelten. Bis 1958 gab es in der DDR Lebensmittelkarten für beispielsweise Fleisch, Kartoffeln und Zucker. Bei Bestellungen mussten die Kellner_innen die Lebensmittelkarten abschneiden.

Die Gaststätte war häufig so voll, dass man keinen Sitzplatz mehr ergattern konnte. Der riesige Saal war rund um die Uhr geöffnet – nur für Alkohol gab es eine Sperrstunde. Oben im vierten Stock wurde in einer großen Küche alles vorbereitet. Von einer Konditorei über eine Wasseraufbereitungsanlage, einem Dieselmotor für die Stromerzeugung bis hin zu einer Wäscherei und einer Mitropa-Druckerei für die hauseigenen Speisekarten, war dort alles untergebracht.

Interview mit Wolfgang Wick – Kellner_innen mit Scheren

An Heiligabend trafen sich im Bahnhofsbistro die “einsamen Herzen”. Kein anderes Lokal in Leipzig hatte an diesem Tag nach 17 Uhr noch geöffnet. “Da blieb nur noch die Mitropa”, erinnert sich Thomas Zemmrich, der ein gebürtiger Leipziger ist. “Da haben sich dann gerne mal vierzig Leute getroffen, weil dort die Chance bestand, noch ein gemeinsames Bier zu trinken.”

Ein großer Unterschied im In- und Ausland

Da die Mitropa auch im Ausland unterwegs war, erhielt sie einen Sonderstatus und konnte auf ihren Auslandsreisen Waren anbieten, die es auf den Inlandsstrecken nicht gab. Ausgewählte Würste oder Bier zählten dazu. Denn beispielsweise gehörte das Radeberger Pilsner Bier zur sogenannten Bückware. Die Brauerei war zwar ein Volkseigener Betrieb, doch das Bier wurde hauptsächlich für den Export gebraut. Der Rest wurde in der gehobenen Gastronomie und in manchen Mitropa-Wagen verkauft. Auch zu Messe-Zeiten holte die Mitropa Gaststätte Spitzenprodukte zum Vorschein, die von den DDR-Bürger_innen sonst nicht gesehen wurden.

Bei Fahrten ins Ausland wurden alle Gäste kontrolliert. “Manche der Grenzbeamten hatten vielleicht zuhause bei Mama nichts zu melden, die haben sich dann auf der Arbeit ausgelebt und haben die Leute drangsaliert”, erinnert sich Kretschmann. Es konnte vorkommen, dass Gäste nachts um drei von Zöllnern, mit einem Vierkant an die Türen hämmernd, geweckt wurden. “Das war wie im Gefängnis. Manche machten es aber auch vernünftig”, sagt er.

Ausgebremst

Zwar stand es nirgendwo geschrieben, aber es hieß, man solle seinen Schlafwagen immer wieder mit nach Hause bringen. Jeder Schlafwagenfahrer war für einen Schlafwagen verantwortlich. Im Zugverband waren meist mehrere Schlafwagenunternehmen aus verschiedenen Ländern zusammengewürfelt. War der Schlafwagen defekt, wurde er vom Zug abgekoppelt. Kretschmann erzählt: “Wenn mein Wagen in Bukarest auf einmal kaputt war, musste ich auf ihm bleiben. Der steht dann aber nicht in der Stadt, sondern auf irgendeiner Abstellanlage, wo weit und breit nichts ist, womit man sich versorgen konnte. Man musste den Wagen vor Einbrüchen sichern. Außerdem war die Versorgungslage in Bukarest weitaus schlechter, als in der DDR. Ich lebte dann von dem, was ich hatte. Halberstätter Bockwurst. Ich wurde dann sehr kreativ in der Zubereitung einer Bockwurst.”


Adresse: ehemalige Mitropa Gaststätte heute Buchhandlung Ludwig Willy-Brandt-Platz 5, Promenaden im Leipziger Hauptbahnhof 04109 Leipzig

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