Die Moritzbastei – Eine Bastion der Studierenden

Die Moritzbastei ist ein Kulturzentrum in der Leipziger Innenstadt. Im Gewölbekeller befinden sich mehrere Kneipen und Konzerträume. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag sie in Trümmern, bis Studierende sie wieder aufbauten. In den 1980er Jahren wurde sie von der Freien Deutschen Jugend betrieben und galt als Ort der Begegnungen.

Die aus roten Backsteinen errichtete Bastei mit ihren bis tief in die Erde gebauten Gewölbekellern birgt eine weit zurückreichende und wechselvolle Geschichte. Vor fast 500 Jahren wurde die Moritzbastei als Festung zum Schutz der Stadt errichtet. Nach ihrer Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg wurde auf ihren Mauern eine Schule errichtet.

Die Schule jedoch fiel einem Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg zu Opfer. Lange Jahre füllten die Gewölbekeller tonnenweise Trümmer. Anfang der Siebziger Jahre begannen Student_innen der angrenzenden Karl-Marx-Universität die Bastei in 150.000 “freiwilligen” Arbeitsstunden wieder aufzubauen und befreiten die Gewölbe von 40.000 Kubikmetern Schutt. Die benötigten Baumaterialien beschafften sie, indem sie Ziegel aus anderen Trümmerhaufen ausgruben. Die Motivation für das aufwendige Vorhaben war der Wunsch nach einem eigenen Studentenclub.

Selbst ist der Student

Alltag und Diktatur:

Subbotnik

(Russisch für Samstag)
Unbezahlte Arbeitseinsätze für die Allgemeinheit, bspw. bei Neubauten, Frühjahrsputz in Wohnsiedlungen oder Schulen waren in der DDR geläufig. Obwohl es hieß, dass sie freiwillig seien, wurde häufig Druck ausgeübt. Und manch eine_r erhoffte sich durch seinen oder ihren freiwilligen Einsatz Vorteile zu erhalten, wie bspw. bei der Erteilung einer Wohnung oder eines Telefonanschlusses.

Die Universitätsleitung rief alle Student_innen zur Mithilfe beim Wiederaufbau der Bastei auf. Dazu gehörte, dass man einmal im Semester eine Arbeitsschicht in der Moritzbastei absolvierte. Eine der vielen, die dort ihre Arbeitsstunden absolvierte, war übrigens Angela Merkel. Für einige wurde die Moritzbastei ein richtiges Zuhause.

Die Mithilfe beim Wiederaufbau war zwar offiziell freiwillig, allerdings war es schwierig, sich dieser Freiwilligkeit zu entziehen. Es war eher eine Art “Zwangsfreilwilligkeit”, erinnert sich Thomas Zemmrich. Der ehemalige Kulturwissenschaftsstudent fing 1979 an, bei der Sanierung der Moritzbastei mitzuhelfen. Da war gerade der erste Bauabschnitt fertig. “Das war auf jeden Fall sinnvoller, als sein drittes oder viertes Abzeichen für gutes Wissen zu bekommen. Es hat einfach Spaß gemacht und man sah Ergebnisse.” Nach dem Wiederaufbau war er zunächst in der Arbeitsgruppe Literatur tätig. Dort organisierten die Studierenden unter anderem Lesungen, Kabarett und Musikabende. Wer sich an dem Wiederaufbau beteiligt hatte, konnte später im Club aktiv sein. Dies hatte nebenbei den Vorteil, sich nicht bei Diskotheken oder anderen Veranstaltungen um Karten bemühen zu müssen.

Alltag und Diktatur:

Abzeichen für gutes Wissen

In der DDR gab es viele verschiedene Leistungsabzeichen für Kinder und Jugendliche. Sie förderten schulisches und gesellschaftliches Engagement im Sinne der sozialistischen Staatsideologie. Das “Abzeichen für gutes Wissen” wurde von der Freien Deutschen Jugend (FDJ) durch dessen ersten Vorsitzenden Erich Honecker ins Leben gerufen. Nach dem sogenannten FDJ-Studienjahr musste eine Prüfung über die Grundkenntnisse im Bereich des Marxismus-Leninismus sowie des politischen und gesellschaftlichen Lebens abgelegt werden. Die Auszeichnung gab es in Bronze, Silber und Gold.

Nach 50 Arbeitsstunden erhielt man eine “Erbauerkarte”, mit der man bevorzugt an Karten für Veranstaltungen in der Moritzbastei kam, von denen es nur jeweils 500 Stück gab. Bei weiteren 50 Arbeitsstunden gab es eine Ehrenkarte, die freien Eintritt zu jeder Veranstaltung auf Lebenszeit garantierte. Diese Ehrenkarten haben in der Moritzbastei bis heute ihre Gültigkeit.

Im Mittelpunkt stand die Kultur – und das Bier

Es war von Anfang an eine gut funktionierende Kneipe, wobei die Kultur im Mittelpunkt stand. Zu essen gab es “Fettbemm” (Schmalzstullen), außerdem Bier oder Wein. “Freie Klubs” gab es in der DDR nicht. Die Tanzveranstaltungen wurden vor allem von der Freien Deutschen Jugend (FDJ) betrieben, und waren meistens ausverkauft. Die Universität hatte damals ca. 10.000 Studierende, in die Moritzbastei passten allerdings nur 500 Personen.

Gewölbekeller der Moritzbastei (c) CC BY-NC-ND 2.0

Das Veranstaltungsprogramm war breit gefächert. Die legendäre DDR-Band Puhdys war zwar nie in der Moritzbastei, dafür aber Eberhard Esche oder die Prinzen – damals hießen sie noch Herzbuben. Manche Abende wurden von sogenannte Schallplattenunterhalter begleitet. Sie legten Platten nicht nur auf, sondern moderierten durch die Veranstaltungen.

Alltag und Diktatur:

Freie Deutsche Jugend (FDJ)

In der DDR war die Freie Deutsche Jugend (FDJ) der kommunistische Jugendverband und die einzige staatlich anerkannte und geförderte Jugendorganisation. Erziehung im Sinne des Marxismus-Leninismus und zu “klassenbewussten Sozialisten” waren die Ziele. Die FDJ sah sich als “Kampfreserve der SED”. Trotz beteuerter Freiwilligkeit, wurden Kinder und ihre Eltern, besonders aus dem kirchlichen Milieu, gezielt unter Druck gesetzt, der FDJ beizutreten. Jugendliche konnten ab dem 14. Lebensjahr aufgenommen werden und viele wollten dazu gehören, denn die FDJ organisierte Freizeitangebote, Jugendclubs und Reisen.
Das Buch von Ulrich Mählert: FDJ 1946-1989. Erfurt 2001 kann hier online gelesen werden.

Montags gab es meistens eine Lesung in der “Veranstaltungstonne”, wie einer der vielen Räume im Gewölbekeller genannt wurde. Dienstags gab es Jazzkonzerte, mittwochs Disco, donnerstags Diskussionsrunden zu unterschiedlichsten wissenschaftlichen oder politischen Themen. “Aktuelle politische Themen waren natürlich in den Farben der DDR”, bemerkt Zemmrich. Freitags konnten FDJ Gruppen die “MB” nutzen, ohne Miete zahlen zu müssen. Am Samstag Abend fanden meist Tanzveranstaltungen mit Bands statt. Nach Ausschankschluss um 01:00 Uhr nachts, wurde Dienstbier für die Mitarbeiter_innen ausgeschenkt.

An der Demonstration zum 1. Mai, dem Tag der Arbeiter als “Internationaler Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus”, sollte jede_r teilnehmen, und besonders für die Studierenden galt sie als Pflichtveranstaltung. Ein Schlupfloch fanden so manche Student_innen in der Moritzbastei. Hatte die Demonstration die Bastei erreicht, bog man ab und ging zum Frühschoppen.

Auf schmalem Grad

Ganz frei konnten die Studierenden ihre Moritzbastei nicht führen, schließlich wurde sie ab 1980 durch die FDJ betrieben. Der Jugendverband kümmerte sich hauptsächlich um die verschiedenen Veranstaltungen. Die Sorge, von inoffiziellen Mitarbeiter_innen (IMs) der Staatssicherheit bespitzelt zu werden, war groß. Zemmrich sagt trotzdem: “Wir haben uns hier nichts vorschreiben lassen, aber wenn wir zu sehr ins Fadenkreuz der Stasi geraten wären, hätte man uns den Laden dicht gemacht. Dann hätte es nur noch Disko gegeben. Das Fenster war zwar offen und wir haben auch raus gebrüllt, aber wir haben uns nicht zu weit aus ihm gelehnt.” Alle Mitglieder der Moritzbastei waren in der FDJ, da man sich in der Regel gar nicht erst an der Universität einschreiben konnte, wenn man nicht auch FDJ-Mitglied war.

Interview mit Thomas Zemmrich – Über IMs und den schmalen Grad der Möglichkeiten

“Wir sind das Volk”

Seit dem 4. September 1989 fanden in Leipzig Montagsdemonstrationen statt. Woche um Woche kamen mehr und mehr Demonstrant_innen hinzu. Am Montag, den 9. Oktober 1989, war die Situation sehr angespannt. Es war unklar, wie die SED-Führung auf die Massendemonstration reagieren würde. Flugblätter zu Gewaltverzicht wurden verteilt. Berühmt erlangte ein Aufruf einer Gruppe Leipziger, zu Dialog, Besonnenheit und Fortführung des Sozialismus plädierten. Die sogenannten Leipziger Sechs bestanden aus den drei SED-Bezirkssekretäre Kurt Meyer, Jochen Pommert und Roland Wötzel, der Universitätstheologe Peter Zimmermann, der Kabarettist Bernd-Lutz Lange und der Gewandhauskapellmeister Kurt Masur. Einige Tage später, am 15.10.1989, fand in der Moritzbastei eine öffentliche Diskussion mit fünf der Leipziger Sechs statt. Die circa 1500 Teilnehmer_innen standen bis auf die Straße, die Diskussion wurde über die Lautsprechanlagen der Straßenbahnhaltestellen übertragen.


Adresse: Moritzbastei Universitätsstraße 9 04109 Leipzig

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